Entspannung und Stressabbau sind das Gebot der Stunde, wenn im Bett nichts mehr läuft. Die Naturheilkunde hat dafür ein großes Repertoire an Methoden. Am wichtigsten: drüber reden.

Freitagabend, irgendwo in Hamburg: Paul schließt die Wohnungstür auf. Schon den ganzen Tag hat er sich auf diesen Moment gefreut. Endlich Wochenende. Zu zweit. "Liebste!", ruft er, "Ich hab uns Champagner mitgebracht!" Tina sitzt am Küchentisch und sortiert Kontoauszüge. Paul umarmt sie und küsst sie zärtlich auf den Nacken - ihm ist ganz romantisch zumute. "Ich bin müde", grummelt das Objekt seiner Begierde und windet sich aus seiner Berührung. Den Abend verbringen die beiden dann vor dem Fernseher. Sex hatten sie zuletzt vor zwei Monaten. Paul und Tina sind in diesem Fall Prototypen für 47,9 Prozent der Deutschen - so viele nämlich sind nach Angaben der Zeitschrift "Psychologie heute" mit ihrem Sexualleben unzufrieden. Und Schätzungen zufolge leiden rund zwei Drittel aller Paare irgendwann darunter, dass sie keine Lust mehr auf Sex haben. "Man muss zunächst ganz genau klären, welche Ursache diese Unlust überhaupt hat", sagt Dr. Joachim Holweg, Gynäkologe und Arzt für Naturheilverfahren. "Normalerweise steckt da die Psyche dahinter", weiß der Frauenarzt. Lustkiller Nummer eins: der Stress. Wer schon unausgeschlafen zum Job hetzt, dort in viel zu kurzer Zeit viel zu viel erledigen muss, das Handy auch beim Abendessen nicht abschaltet und sich dazu noch ärgert, weil im Büro ausgerechnet sein größter Konkurrent befördert wurde - der leidet mit großer Wahrscheinlichkeit unter Libido-Verlust. Stress sorgt dafür, dass der Körper seine Fähigkeit, Lust und Leidenschaft zu empfinden, radikal herunterfährt. Schuld sind Stoffe, die der Mensch in Stress-Situationen selbst produziert: Das Stresshormon mit dem Namen CRH aus dem Hypothalamus blockiert die Produktion von Sexualhormonen wie Testosteron und Östrogen. Darum schütten unsere Keimdrüsen weniger von diesen Stoffen aus, die unsere Lust auf Sex steigern. Der zweite Lust-Dämpfer: das Stresshormon Cortisol, das in der Nebenniere entsteht. Es hemmt unser Gefühlszentrum im Hirn, das limbische System. Darum kann dort bei Stress keine Leidenschaft entstehen. Es gibt nicht nur Stress im Beruf: Der eine hat keine Lust, weil beim Sex der Leistungsdruck zu hoch ist, die andere, weil sie sich rund um die Uhr ums Baby kümmert - das schlaucht. Kaum zu glauben, aber wahr: Auch zu viel Harmonie kann das Begehren dämpfen. Der Mecklenburger Paartherapeut und Psychologe Michael Mary behauptet in seinem Buch "Fünf Lügen die Liebe betreffend" gar, eine harmonische Beziehung und sexuelle Leidenschaft seien auf Dauer unvereinbar, schon der Wunsch sei "romantisch und irreal". Viele Paarberater sind weniger radikal. Doch sie mahnen, Konflike auszutragen - ruhig mal mit Streit. Doch wie findet man selbst heraus, wie man sein Begehren wieder aufleben lassen kann? "Im ausführlichen Gespräch mit dem Arzt oder Psychologen", sagt Joachim Holweg. Mit seiner Unterstützung kann geklärt werden, welche Art der Behandlung - Psychotherapie, Sexualtherapie oder auch Anti-Stress-Kurse - am besten weiterhilft. Allerdings sollte der Arzt zunächst eine organische Ursache für die Beschwerden ausschließen. Bei Frauen kann zum Beispiel auch eine zu trockene Scheidenschleimhaut Probleme machen. Wie groß der Einfluss der Psyche auf den Körper ist, merkt Holweg übrigens nicht nur bei Patientinnen mit sexueller Unlust. "Sehr viele Beschwerden haben psychische Ursachen, oder hängen zumindest eng mit der Psyche zusammen", sagt Holweg. Beispiel PMS (Prämenstruelles Syndrom): Jede dritte Frau kennt die Symptome. Sieben bis zehn Tage vor der Periode fühlt sie sich schlapp. Die Brust spannt, der Bauch bläht sich auf. Sie ist reizbar und niedergeschlagen. Verantwortlich ist der Hormoncocktail im Blut - und die Seele: "Jemand, der sich im Job überfordert fühlt und Stress mit dem Partner hat, wird eher mit Reizbarkeit und Erschöpfung reagieren als eine Frau, die rundum zufrieden ist", berichtet Holweg. Gegen die Beschwerden, die mit PMS einhergehen, kennt die Naturheilkunde ein wirksames Kraut: Mönchspfeffer. Angeblich nahmen Mönche das Mittel ein, um ihren Sexualtrieb zu dämpfen. Es hat tatsächlich eine ähnliche Wirkung wie das Gelbkörperhormon Progesteron und hemmt den Stoff, der die Östrogenbildung anregt und sorgt so dafür, dass der Östrogenspiegel nicht zu sehr ansteigt. Bei Wechseljahrbeschwerden empfiehlt er Naturheilkunde als Ergänzung zur Schulmedizin. Das Problem des Klimakteriums: Der Östrogenspiegel sackt ab. Das kann bedeuten, dass die Knochensubstanz schwindet. Osteoporose droht. "Vor Osteoporose schützen keine Kräuter", warnt Holweg. Zumindest konnte das bisher niemand eindeutig belegen. "Aber die Symptome der Wechseljahre lassen sich mit ihnen gut lindern". Besonders wirksam: Traubensilberkerze. "Sie hilft gegen Hitzewallungen. Studien weisen daraufhin, dass in ihren Blütenständen Phyto-Östrogene stecken - pflanzliche Stoffe, die wirken wie Östrogen", erklärt der Mediziner. Sein Tipp für die Wechseljahre: Eine Fastenkur hebt die Stimmung. Zwar hilft das Fasten nicht direkt gegen die Beschwerden. "Aber man tut sich was Gutes", betont Holweg, "und nimmt sich Zeit für sich selbst". Genau das würde vermutlich auch Paul und Tina guttun