Am Rand der Braunkohlegrube in Sachsen-Anhalt droht weiterer Boden wegzubrechen. Für die drei Vermissten besteht keine Hoffnung.

Nachterstedt. Wie konnte es zu dem verheerenden Erdrutsch in Nachterstedt (Sachsen-Anhalt) kommen? Wurde er durch den Grundwasseranstieg bei der Flutung des Tagebausees ausgelöst? "Man kann vermuten, dass das eine Ursache ist", sagte der Hydrogeologe Prof. Broder Merkel von der Bergakademie Freiberg (Sachsen). Alles Weitere sei Spekulation. Es werde eine gewisse Zeit dauern, bis das Geschehen geklärt sei, sagte der Professor.

Das Abendblatt sprach mit einem weiteren Fachmann. "Die Form, Dynamik und das Ausmaß des Erdrutsches sprechen dafür, dass es sich bei dem Erdrutsch um ein sogenanntes Setzungsfließen handelt", sagt Prof. Hossein Tudeshki, Professor für Tagebau und Internationalen Bergbau an der Technischen Universität Clausthal. "Wenn feinkörniger, runder Sand locker aufgeschichtet ist und Wasser dazukommt, kann ein kleiner Impuls, etwa Erschütterungen durch den Verkehr oder durch kleinste Erdbeben dazu führen, dass der Boden in den flüssigen Zustand übergeht", so Tudeshki. Generell sei das Setzungsfließen bei offen liegenden "Restlöchern" das größte Problem.

Allerdings betreffe dies nur die aufgegebenen Braunkohle-Tagebaue in Ostdeutschland. Tudeshki: "Die feinen Sände findet man vor allem im Raum Leipzig, Senftenberg bis nach Cottbus. In anderen Braunkohlerevieren, etwa im Kölner Raum, gibt es andere Böden, die die Voraussetzungen für ein Setzungsfließen nicht erfüllen."

Generell seien Restlöcher im offenen Tagebau weitaus vielfältiger zu gestalten als tiefliegende Steinkohleflöze. "Doch diese liegen im stabilen Gestein. Das Risiko für nachträgliche Sackungen und Senkungen ist hier viel geringer. Es kommt höchstens zu allmählichen Bodenabsenkungen, die allerdings einige Meter erreichen können."

Bis Gutachter ihre Daten über die genauen Ursachen ausgewertet haben, werden vermutlich noch Wochen und Monaten vergehen, sagte der Sprecher der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV), Uwe Steinhuber. Nach seiner Einschätzung war es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Es könne an der Böschung selbst oder am Altbergbau mit seinen zahlreichen Hohlräumen gelegen haben.

Nach dem Unglück war Nachterstedt zum regionalen Katastrophengebiet erklärt worden. An der Unglücksstelle droht weiterer Boden wegzubrechen, hieß es gestern. Es gebe Risse in der Erde, die sich von der Böschung bis zu den nächsten Häusern ziehen. Für die drei Vermissten, die Sonnabend mit ihren Häusern in die Tiefe gerissen wurden, gibt es keine Hoffnung mehr. Bei Untersuchungen mit einer hochauflösenden Wärmebildkamera waren in der Nacht zum Montag "keinerlei Lebenszeichen" gefunden worden, sagte eine Sprecherin des Landratsamtes Salzlandkreis.

Bei dem Erdrutsch am Rande der ehemaligen Braunkohlegrube waren ein komplettes Doppelhaus sowie die Hälfte eines weiteren Hauses mitgerissen worden. Eine Frau (48) sowie zwei 50 und 51 Jahre alte Männer wurden unter Schlammmassen und Trümmern begraben. Wegen drohender weiterer Erdrutsche und der akuten Lebensgefahr konnten die Rettungskräfte nicht zu den drei Vermissten vordringen. Die Bundeswehr prüfte einen Einsatz am Unglücksort. Am Mittag traf das Erkundungskommando eines Panzerpionierbataillons in Nachterstedt ein. Das fünf Mann starke Vorauskommando sollte mit einem Schlauchboot Optionen für einen Einsatz prüfen.