Die Suche nach Vermissten ist eingestellt. Auch Bewohner im rheinischen Tagebaugebiet reagieren alarmiert.

Nachterstedt. Wegen der Gefahr weiterer Erdrutsche kann das Unglücksgebiet in Nachterstedt (Sachsen-Anhalt) vermutlich nie mehr bewohnt werden. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass die Menschen, die in der Nähe der Abbruchkante wohnten, in die acht evakuierten Häuser zurückkönnten, sagte Gerhard Jost von der Bergbaubehörde des Landes Sachsen-Anhalt gestern in Nachterstedt.

Es werde wohl Monate dauern, bis das Gebiet am Concordia-See zur Ruhe gekommen sei. "Es sind leichte neue Risse aufgetreten, bis 30 Meter hinter der Bruchkante", sagte Jost. Bei dem Unglück vor vier Tagen kamen drei Menschen im Alter von 48, 50 und 51 Jahren ums Leben. Sie wurden mit ihrem Haus in die Tiefe gerissen. Auch die Hälfte eines Mehrfamilienhauses rutschte mit zwei Millionen Kubikmeter Erdmasse weg.

Am Montag waren Versuche zur Bergung der Verschütteten eingestellt worden. Der See soll bis auf Weiteres gesperrt bleiben, weil im Falle neuer Erdrutsche Flutwellen befürchtet werden. Die Polizei kontrolliert das Seeufer. Für das gefährdete Gebiet hinter der Bruchkante wurde ein Wachdienst beauftragt. Für die 41 Bewohner, die nach dem Erdrutsch in Sicherheit gebracht worden waren, wurde ein Kontaktbüro eingerichtet, in dem sie sich wegen Schadenersatzansprüchen melden können.

Immer wieder müsse in den kommenden Tagen mit Abbrüchen gerechnet werden, sagte Jost. "Die Böschung wird flacher werden." Nähere Hinweise zur Ursache des Unglücks gebe es nicht. "Es gibt eine Vielzahl von Spekulationen, aber es sind eben Spekulationen." Möglich ist, dass das Unglück mit dem früheren Braunkohle-Tagebau zusammenhängt. Spekuliert wird auch, ob eine unterirdische Wasserblase eine Flutwelle ausgelöst und die Böschung zum Einsturz gebracht hat.

Mithilfe des Kontaktbüros sollen auch alle Betroffenen, die inzwischen sicher bei Bekannten und in Ferienwohnungen untergekommen sind, schnell wieder eine langfristige Bleibe bekommen. "An vorderster Stelle steht die Wohnungsfrage", sagte der Landrat des Salzlandkreises, Ulrich Gerstner. "Wir haben ein größeres Angebot an leeren Wohnungen. Die Betroffenen haben eine ausreichende Auswahl."

Unterdessen wird auch im Rheinland der Ruf nach Konsequenzen aus dem Erdrutsch in Nachterstedt lauter. Die Ursachen des Unglücks müssten in die Planungen für den Tagebausee Garzweiler einfließen, sagte der Bürgermeister der Stadt Erkelenz, Peter Jansen. Das hatte vorher auch schon die Stadt Düren gefordert. Der Erdrutsch vom vergangenen Sonnabend war offenbar nicht der erste am Concordia-See. Der Bürgermeister der rheinischen Tagebaugemeinde Inden, Ulrich Schuster, sagte, er habe bereits bei einem Besuch des Sees vor etwa zwei Jahren eine Veränderung der Böschung wahrgenommen. Auch ist laut Schuster damals offen darüber gesprochen worden, dass die Böschung an der Stelle abgesackt sei. Auch in Inden war die Flutung eines Tagebaurestlochs geplant. Nach dem Unglück von Nachterstedt forderte die Stadt die nordrhein-westfälische Landesregierung auf, die Pläne zu stoppen.

Wolf Rüdiger Dombrowsky, Katastrophen-Forscher der Universität in Kiel, sprach sich bei MDR-Info dafür aus, die Folgerisiken des Bergbaus neu zu bewerten. Die Planungen für die Renaturierungen der früheren Tagebaue seien auf der Grundlage von historischen Erfahrungen entstanden. Durch den Klimawandel und zunehmende Starkregenfälle müsse man sich aber Gedanken über eine andere Abführung des Wassers machen. Viele Kommunen und Bergbaugesellschaften führten keine seriöse Risikobewertungen durch - aus Angst vor hohen Kosten. Die Verantwortlichen von Nachterstedt würden sich jetzt reinwaschen und von einem unvorhersehbaren Unglücksfall sprechen.