Die Ursache für den Erdrutsch in Nachterstedt ist nach wie vor unklar. Katastrophenforscher Wolf Dombrowsky erklärte nun, dass Bergbauregionen prinzipiell ein Risiko darstellen können.

Nachterstedt. Unglücke wie in Nachterstedt können nach Ansicht des Katastrophenforschers Wolf Dombrowsky auch in anderen deutschen Bergbauregionen passieren. Dringend nötig sei eine Risikokartierung für ganz Deutschland, sagte der Leiter der Katastrophenforschungsstelle an der Uni Kiel. „In Nachterstedt waschen sich alle Verantwortlichen jetzt rein und sprechen von einem unvorhersehbaren Unglücksfall, doch das entspricht nicht der Wahrheit“, erklärte der Professor, der auch Mitglied der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern ist. Die Kommission berät Bundesregierung und Länder in wissenschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Fragen des Schutzes der Zivilbevölkerung.

Er verweise seit Jahren darauf, „dass die bisherigen Risikobewertungen in Bergbauregionen ungenügend sind, da komplexe geologische Dynamiken etwa durch Wassereintritte, Temperaturschwankungen und unterschiedliche Lastveränderungen unberücksichtigt bleiben.“ Es reiche nicht aus, stillgelegte Stollen aufzufüllen oder Hohlräume aufzuschütten, wie zahlreiche Beispiele im Ruhrgebiet, im Saarland oder in den Braunkohlegebieten in den neuen Ländern zeigten. Gerade angesichts des Klimawandels sei eine Neubewertung der Risiken nötig, sagte der Wissenschaftler dem Sender MDR Info. „Durch die extremen Starkregen-Ereignisse, die noch zunehmen werden, muss man sich zum Beispiel Gedanken machen über verstärkte Formen des Oberflächenwasser-Abführens“, stellte er weiter fest.

Es sei ein echtes Ärgernis, „dass wir in Deutschland keine öffentliche Debatte über die sogenannten Ewigkeitskosten des Bergbaus führen“, kritisierte Dombrowsky. Aus Angst vor den horrenden Kosten schreckten Kommunen und Bergbaugesellschaften oft davor zurück, seriöse Risikobewertungen durchzuführen. „Nach der Devise: Wenn drei, vier oder zehn Häuser Risse bekommen, absacken oder zusammenstürzen, kommt uns das immer noch billiger als präventive Maßnahmen zu ergreifen“, sagte der Forscher.

Gestern Nachmittag war die Suche nach den drei Vermissten der Erdrutsch-Katastrophe offiziell eingestellt worden. Es bestehe keine Hoffnung mehr, dass die beiden Männer und die Frau noch lebend geborgen werden könnten, hatte der Katastrophenstab mitgeteilt. Auch die Suche mit hochauflösenden Wärmebildkameras hatte keinen Erfolg erzielt. Thomas S. (50), Peter (51) und Ilka K. (48) waren in der Nacht zu Sonnabend von einem lauten Grollen aus dem Schlaf gerissen worden. Kurz darauf hatte sich die Erde aufgetan und das Doppelhaus der Familie S. und K. "verschluckt". Zudem stürzte die Hälfte eines Mehrfamilienhauses in die Tiefe. Aus dem Gebäude kam jedoch niemand ums Leben. Die Bewohner befinden sich derzeit im Urlaub in Spanien.

Inzwischen warnten die Behörden vor weiteren Abbrüchen, nachdem neue Risse an der Unglücksstelle entdeckt worden waren. Die anderen Anwohner, die kurz nach dem Unglück ihre Grundstücke verlassen mussten, können eventuell nie wieder in ihre Häuser zurückkehren. Es besteht akute Lebensgefahr. „Sicherheit in dem Sinne kann man nicht geben“, sagte Bergbau-Experte Günter Meier von der TU Freiberg. Die Menschen dort müssen nun mit der Befürchtung leben, dass sich ein ähnliches Unglück an anderer Stelle wiederholen könnte. Wer in solch einem altbergbaulich beeinflussten Gebiet lebe, müsse mit einem gewissen Restrisiko rechnen. „Aber man muss natürlich durch Untersuchungen, durch Begutachtung und durch Sanierung die gefährdeten Bereiche beseitigen und entsprechend vorrichten, dass sie dauerhaft sicher sind“, gab Meier an. Das Problem sei, unsichere Bereiche auch zu erkennen.

Die vom Erdrutsch betroffene Siedlung in Nachterstedt sollte Meier zufolge unbedingt geräumt werden. „Man muss diesen Standort nach meiner Meinung aufgeben“, sagte er. Auf die Frage, ob man die abgerutschten Häuser, die in den 30er Jahren auf einer Abraumhalde gebaut wurden, vorsorglich hätte räumen müssen, sagte er, es habe zuvor keinerlei Anzeichen gegeben, „dass diese Kippe instabil war“.