Thailand schließt 435 Schulen und 200 Kindergärten. Neue Krankheitsfälle auch in Norddeutschland.

Die Gesundheitsminister der Länder einigten sich gestern überraschend in einer Telefonkonferenz: Sie wollen insgesamt 50 Millionen Impfdosen als Schutz gegen die Mexiko-Grippe bestellen. Da man von einer Zweifachimpfung ausgeht, würde die georderte Menge für 25 Millionen Menschen in Deutschland reichen, also für knapp jeden dritten Bundesbürger. Der Hintergrund für den ungewöhnlichen Schritt: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte zuvor festgestellt, "dass die Pandemie nicht zu stoppen ist", so WHO-Direktorin Marie-Paule Kieny in Genf. Da sich das Virus in den Ländern unterschiedlich schnell ausbreite, müsse es auch nationale Impflösungen geben.

Chronisch Kranke zuerst impfen

Ein Impfstoff soll im Herbst zur Verfügung stehen. Mit der kühlen Jahreszeit werden mehr Krankheitsfälle erwartet. "Darauf müssen wir vorbereitet sein", sagte der hessische Gesundheitsminister Jürgen Banzer (CDU).

Als Erstes werden wohl Ärzte und Pflegekräfte mit dem Impfstoff versorgt, außerdem chronisch Kranke und Schwangere. Dieses Vorgehen empfehlen jedenfalls die Experten der EU-Seuchenbehörde (ECDC). Nach deren Angaben sind weltweit bisher mehr als 110 000 Menschen an der neuen Grippe (Influenza A/H1N1) erkrankt. Die tatsächliche Zahl dürfte aber wesentlich höher sein, denn viele Infizierte haben nur leichte Symptome und wurden nie auf das Virus getestet, weil sie nach einigen Tagen wieder gesund waren. 572 Erkrankte sind gestorben.

Ansteckung im Urlaubsort

Sieben bestätigte Fälle in Hamburg meldet das Robert-Koch-Institut (Berlin). Die Hamburger Gesundheitsbehörde spricht sogar von acht. 21 sind es in Schleswig-Holstein, 61 in Niedersachsen. "Ein Fall davon ist bei uns zurzeit akut", sagt Rico Schmidt, Sprecher der Hamburger Gesundheitsbehörde. Es handele sich um eine Frau (35), bei der die Grippe einen milden Verlauf zeige und die deshalb zu Hause und nicht im Krankenhaus sei. Wo sie sich angesteckt hat, kann Schmidt nicht genau sagen: "Die ersten Anzeichen deuten darauf hin, dass die Ansteckung im Urlaub geschehen ist." In den vergangenen Tagen hatten sich viele Touristen auf der Ferieninsel Mallorca angesteckt.

In Deutschland haben Labore seit April 2009 insgesamt 737 Krankheitsfälle bestätigt. Trotzdem ist es relativ ruhig geworden um die Grippe-Pandemie. In Schleswig-Holstein hatte der SPD-Kreistagsfraktionsvorsitzende Reinhard Mendel für Aufregung gesorgt, als sich seine Erkrankung nach einer Untersuchung in der Asklepios-Klinik in Bad Oldesloe als neue Grippe herausstellte. Gerade noch hatte Mendel am Kreisparteitag mit 150 Genossen teilgenommen. Bisher sind jedoch keine weiteren Erkrankte aus seinem Umfeld bekannt. Immerhin gelten sieben der 21 in Schleswig-Holstein registrierten Fälle als autochthon, das heißt in Deutschland von einem bereits Erkrankten erworben.

Das Virus greift die Lunge an

In Niedersachsen gilt das sogar für 14 der 61 Fälle. Im Großraum Hannover sind am Wochenende 13 Fälle der Mexiko-Grippe aufgetreten, allein sieben Personen kehrten krank aus dem Mallorca-Urlaub zurück. Ein 13-Jähriger hatte das Virus aus Australien mitgebracht, eine dreiköpfige Familie aus den USA. Die beiden anderen Fälle steckten sich in Deutschland an.

Auch wenn die meisten Patienten in Deutschland bisher nur leichte Krankheitssymptome hatten, gilt das Virus als gefährlich. Einer Studie zufolge kann es zu schwereren Lungenschäden führen als die normale saisonale Grippe. Wie US-Forscher der Universität von Wisconsin in der britischen Fachzeitschrift "Nature" berichteten, wurden die Symptome bei Mäusen, Frettchen, Makakenäffchen und eigens gezüchteten kleinen Schweinen mit der Wirkung saisonaler Grippeviren verglichen. Bei allen Tieren außer den Schweinen richtete das Virus A (H1N1) schwerere Lungenschäden an. Das Virus reagiere jedoch gut auf die bekannten Antivirenmittel wie Tamiflu.

Wie das Team um den Forscher Yoshihiro Kawaoka außerdem herausfand, ähnelt das neue Virus einem Erregerstamm der Spanischen Grippe, der zwischen 1918 und 1919 weltweit 40 bis 50 Millionen Menschen tötete. Dazu untersuchten die Forscher Blutproben von Menschen, die vor 1920 geboren wurden. Sie hatten Antikörper im Blut, die das neue Virus erkannten und darauf reagierten. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Mexiko-Grippe ebenso gefährlich sei wie die Spanische Grippe, meinen die Mediziner.

Mexiko- und normale Grippe

Der Druck auf die Pharmaunternehmen, möglichst schnell Impfstoff gegen die neuen Viren herzustellen, dürfe jedoch nicht auf Kosten der Impfstoffproduktion für die "normale" saisonale Grippe führen, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). "Die Vorbereitung auf die saisonale Grippewelle sollte fortgesetzt werden", sagte WHO-Direktorin Marie-Paule Kieny. Viele Hersteller können nicht gleichzeitig beide Impfstoffe herstellen. Die Produktion für die saisonale Grippe sei zu 90 Prozent abgeschlossen. Der neue Impfstoff sei weitgehend gefunden, aber noch nicht für die Produktion lizenziert.

Ansteckungsgefahr geht auch von vielen Ärzten aus. Gerade sie lassen sich gegen die normale Grippe oft nicht impfen. Eine Umfrage unter 1100 Beschäftigten der Frankfurter Uni-Klinik ergab, dass nur knapp 40 Prozent der Ärzte sich zuletzt gegen Influenza geschützt hatten. Bei den Krankenschwestern waren es sogar nur 17 Prozent, berichtet die "Ärzte Zeitung". Dabei sei der Schutz vor der saisonalen Grippe besonders wichtig.

Hauptgründe für die Impfmüdigkeit: 43 Prozent der ungeimpften Ärzte glaubten, dass die Impfung nicht ausreichend schütze. 41 Prozent sahen kein persönliches Infektionsrisiko, 22 Prozent hielten Influenza nicht für eine schwerwiegende Erkrankung, zehn Prozent hatten Angst vor Nebenwirkungen.

Im Kampf gegen die Ausbreitung der Viren ließ Thailands Hauptstadt Bangkok 435 Schulen und 200 Kindergärten schließen. Die Behörden wollen die Gebäude bis Sonntag desinfizieren. Erwogen wird, alle Schulen im Land einen Monat zu schließen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. 24 Menschen sind in Thailand bisher an dem Virus gestorben.