Premiere: Simone Young eröffnet ihre erste Opernsaison mit “Mathis Der Maler“. Wegen Hindemith legte sich Wilhelm Furtwängler mit den Nazis an. Dann widerrief er.

Hamburg. Mit Hindemiths opus summum und Falk Struckmann in der Titelrolle hat sich Hamburgs neue Opernchefin Simone Young für ihre erste Premiere eines der deutschesten Werke der Opernliteratur überhaupt ausgewählt. Es ist eine Parabel von der Rolle des Künstlers in Politik und Gesellschaft, zu der das Leben des Matthias Grünewald (um 1470 -1529) als Vorlage diente. "Mathis der Maler" wurde 1934 zum "Fall Hindemith". Es war drei Jahre vor den Ausstellungen "Entartete Kunst" der erste schwere Eingriff von Nazi-Zensur in die zeitgenössische Musik. Hindemith schrieb das Libretto über den Schöpfer des Isenheimer Altars selbst. Mit der Partitur dauerte es etwas länger, so daß Hindemith Vor- und Zwischenspiele als "Symphonie Mathis der Maler" komponierte; sie wurde am 27. Februar 1934 von Wilhelm Furtwängler und den Berliner Philharmonikern mit überwältigendem Erfolg uraufgeführt.

Das rief Hindemiths Gegner auf den Plan, die bald dessen Musik als "entartet" diffamierten. Als Furtwängler, damals Direktor der Berliner Lindenoper, für die Spielzeit 1934/35 die Uraufführung der Oper - in der auch eine Bücherverbrennung vorkam - ankündigte, verboten die braunen Diktatoren die Produktion.

Aber Furtwängler bewies zunächst Rückgrat: In der "Deutschen Allgemeinen Zeitung" vom 25. November 1934 veröffentlichte er den Artikel "Der Fall Hindemith", in dem er sich für den Komponisten einsetzte und in dem es unter anderem hieß: "Heute versucht man, ihn öffentlich zu diffamieren, ihn - worauf es schließlich hinauskäme - aus Deutschland zu vertreiben."

Damit aber ging das Kesseltreiben erst richtig los. Nur eine Woche später bat der Dirigent Goebbels um Entlassung aus seinen Ämtern als Vizepräsident der Reichsmusikkammer und als Leiter des Berliner Philharmonischen Orchesters. Und beim preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring suchte er um Entbindung von seinem Amt als Direktor der Berliner Staatsoper nach. Beides wurde natürlich prompt bewilligt.

Anfang 1938 wurde die mittlerweile fertig vorliegende Oper von und für Nazi-Deutschland verboten; Hindemith emigrierte in die Schweiz, wo das Werk Ende Mai des Jahres am Stadttheater Zürich uraufgeführt wurde.

Furtwängler liebäugelte mit einer Emigration in die USA; dort allerdings sorgte vor allem Toscanini dafür, daß für den Konkurrenten kein Platz (neben ihm) sei. So kroch der Maestro zu Kreuze: Nach einer Unterredung bei Goebbels am 28. Februar 1935 bedauerte er in einer öffentlichen Erklärung "die Folgen und Folgerungen politischer Art, die an meinen Artikel geknüpft worden sind, um so mehr, als es mir völlig ferngelegen hat, durch diesen Artikel in die Leitung der Reichskunstpolitik einzugreifen, die auch nach meiner Auffassung selbstverständlich allein vom Führer und Reichskanzler und dem von ihm beauftragten Fachminister bestimmt wird". Der Staatsrat erhielt alle Ämter wieder - und der Fall Hindemith wurde deshalb nach dem Krieg zum Fall Furtwängler

Damals wollten die meisten Bühnen den Deutschen zeigen, was die Nazis ihnen vorenthalten hatten. 1946 kam die deutsche Erstaufführung in Stuttgart heraus, sieben Jahre später folgte Hamburg (Inszenierung: Günter Rennert, Dirigent: Wilhelm Brückner-Rüggeberg), dann 1959 Berlin und Wien mit Richard Kraus bzw. Karl Böhm am Pult und 1960 München (Joseph Keilberth). Nachhaltig setzte sich Hamburgs früherer Opernchef Gerd Albrecht für Hindemith ein; er spielte dessen sinfonisches und Opern-Oeuvre nahezu komplett auf CD ein.

  • 25. September, 18 Uhr. Weitere Vorstellungen am 1., 16., 21., 27. und 30. Oktober, jeweils 19 Uhr. Kartentelefon 35 68 68. Einführungsmatinee mit Mitwirkenden der Produktion (Moderation: Christoph Becher) am 18. September, 11 Uhr, im Großen Haus der Staatsoper.