Die Justizministerin empfiehlt den FDP-Generalsekretär für höhere Aufgaben - und verstärkt den Druck auf Guido Westerwelle.

Hamburg. Wird das Dreikönigstreffen in Stuttgart zum Aufbruch der Liberalen in das Superwahljahr - oder leitet es das Ende von Guido Westerwelle als FDP-Vorsitzender ein? Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erwartet viel vom strauchelnden Parteichef. Das Abendblatt erreichte das langjährige Präsidiumsmitglied am Telefon beim Skifahren in Österreich.

Hamburger Abendblatt: Frau Ministerin, haben Sie sich über den Weihnachtsgruß von Guido Westerwelle gefreut?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guido Westerwelle hat klargemacht, dass wir im nächsten Jahr möglichst viel in der Regierung durchsetzen müssen. Das ist in Ordnung.

In seinem Brief an die Mitglieder schrieb Westerwelle auch, dass 2011 zu einem "Jahr der Bewährung" werde. Was bedeutet das?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es wird ein ganz entscheidendes Jahr für die FDP. Wir müssen alles tun, um Vertrauen zurückzugewinnen. Wir haben in der Bundesregierung Erwartungen enttäuscht. Wir müssen auch alles tun, um unsere Basis zu erhalten. Wir wollen in den sieben Landtagen vertreten sein, die 2011 zur Wahl stehen.

In den meisten Umfragen liegt die FDP unter der Fünf-Prozent-Marke ...

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Umfragen sind überhaupt nicht so, wie wir uns das wünschen. Daher müssen wir die Wochen bis zu den Wahlen nutzen, um den Bürgern klarzumachen, dass die FDP gebraucht wird.

Welche Rolle spielt die Bürgerschaftswahl in Hamburg?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist eine Wahl von begrenzter Auswirkung. Hamburg ist ein besonderes Pflaster. Die FDP ist dort seit 2004 nicht mehr in der Bürgerschaft vertreten. Schon der kleinste Zuwachs wäre für uns ein Erfolg.

Ist Westerwelle ein Parteichef auf Bewährung?

Leutheusser-Schnarrenberger: Er ist Parteichef und Außenminister. Er steht nicht unter Generalbewährung. Er hat das Vertrauen beim letzten Wahlparteitag bekommen. Die FDP muss sich insgesamt mit einem starken Team aus Bundes- und Landespolitikern bewähren.

"Ich zähle auf Ihre Unterstützung", schrieb Westerwelle an die Mitglieder. Kann er das?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich persönlich unterstütze Guido Westerwelle. Nur wenn wir als Team geschlossen auftreten, haben wir eine Chance, die Bürger von der FDP zu überzeugen. Ein zerstrittener Haufen wird nicht gewählt.

Kann Westerwelle auch beim Bundesparteitag im Mai auf Unterstützung zählen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Beim Bundesparteitag wird ein ganzes Führungsgremium neu gewählt. Da ist jetzt schon klar, dass sich einiges verändern wird, weil Andreas Pinkwart als stellvertretender Parteivorsitzender nicht mehr kandidiert. Vieles hängt davon ab, was Guido Westerwelle selbst möchte. Wir sollten ihn ganz persönlich entscheiden lassen, ob er noch einmal als Vorsitzender antritt.

In den vergangenen Wochen ist der Parteichef von FDP-Landespolitikern zum Rückzug gedrängt worden.

Leutheusser-Schnarrenberger: Es hat Kritik gegeben. Wir hatten einen schwachen Start in der Bundesregierung. Es ist ganz wichtig, das offen und selbstkritisch zu sagen. Wir können nicht so tun, als sei alles gut gelaufen. Wir müssen deutlich besser werden.

Was hat Westerwelle falsch gemacht?

Leutheusser-Schnarrenberger: Als Außenminister hat er ganz klar Erfolge zu verzeichnen. Seine schlechten Umfragewerte haben mit der Leistung der Partei insgesamt zu tun.

Hätte die FDP überhaupt eine Alternative?

Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP hat ein großes Team von wirklich hoffnungsvollen Leuten. Wir müssen uns keine Sorgen machen, wenn mal wieder eine Verjüngung ansteht.

Hat Generalsekretär Lindner das Zeug zum Parteichef?

Leutheusser-Schnarrenberger: Christian Lindner ist jetzt schon einer der Beliebtesten in unserer Partei, der konsequent an der programmatischen Neuausrichtung mitarbeitet. Ich halte ihn für einen exzellenten Mann. Er hat aufgrund seiner Persönlichkeit ganz sicher die Fähigkeit, herausragende Ämter wahrzunehmen.

Sie selbst stehen auf keinen Fall zur Verfügung?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe interessante Aufgaben als Bundesjustizministerin und Landesvorsitzende in Bayern. Ich habe als Landesvorsitzende den grundlegendsten politischen Wechsel aller Zeiten eingeleitet. Absolute Mehrheiten der CSU sind Geschichte. Nach gemeinsamen Beratungen werde ich entscheiden, ob ich wieder für ein Amt im Präsidium kandidiere, dem ich ja schon seit vielen Jahren angehöre.

Gibt es Ämter, die Sie für sich ausschließen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Über eine Kandidatur für den Parteivorsitz mache ich mir null Gedanken. Das ist mir bisher überhaupt nicht in den Sinn gekommen.

Was erwarten Sie vom Dreikönigstreffen in Stuttgart?

Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist ein ganz entscheidendes Treffen. Dreikönig muss zum Aufbruch in das Superwahljahr werden. Ich erwarte von Guido Westerwelle eine inhaltlich pointierte Rede. Er muss deutlich machen, wo die FDP jetzt Schwerpunkte setzen und welche Positionen sie in der Bundesregierung durchsetzen will. Uns wird ja nicht zu Unrecht vorgeworfen, dass sich von unseren Positionen im Wahlkampf zu wenig wiederfindet im Regierungshandeln. Guido Westerwelle weiß, wie wichtig dieses Treffen ist.

Auch der Koalitionspartner macht sich Sorgen. Die CDU-Vizevorsitzende Schavan fordert Westerwelle auf, neue Ideen zu präsentieren. Politik sei mehr als Steuerpolitik ...

Leutheusser-Schnarrenberger: Solche Aufforderungen aus der Union brauchen wir überhaupt nicht. Wir wissen selbst am besten, was gut für uns ist.

Wie kann die Union zum Wohlergehen der FDP beitragen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Helmut Kohl hat gewusst: Eine Koalition kann nur funktionieren, wenn jeder Partner seine Erfolge hat. Daran sollten sich auch CDU und CSU erinnern.

Soll Innenminister de Maizière auf die Vorratsdatenspeicherung verzichten, damit Sie sich als Hüterin der Freiheitsrechte profilieren können?

Leutheusser-Schnarrenberger: Für uns gibt es eine Grundfrage: Wie kommen wir weg von der anlasslosen Speicherung aller Telekommunikationsverbindungsdaten von 80 Millionen Deutschen? Wir setzen darauf, dass auf solche Daten nur bei konkretem Verdacht zugegriffen wird. Das ist für die FDP ein wichtiger Punkt.

Wenn es zu einem Terroranschlag kommt, wird es Schuldzuweisungen an Ihre Adresse geben ...

Leutheusser-Schnarrenberger: Die Kritik am Standpunkt der FDP soll doch nur von eigenen Versäumnissen ablenken. Nach dem Motto: Ist doch egal, ob die Landespolizei weniger Stellen und keine Internetanschlüsse bekommt, wenn nur die Vorratsdatenspeicherung im Gesetz steht. Ich erinnere mich gut, wie in der letzten Wahlperiode das Fehlen der Online-Durchsuchung zum drohenden Untergang des Abendlandes stilisiert wurde. Inzwischen haben wir im BKA-Gesetz die Möglichkeit der Online-Durchsuchung und meines Wissens bis heute keinen einzigen Anwendungsfall. Vor 2008 gab es auch keine Vorratsdatenspeicherung, und Deutschland war trotzdem nicht unsicher. Was die Kritiker der FDP behaupten, ist vollkommen unangemessen.

Verfassungsschützer sagen: Ohne Vorratsdatenspeicherung sind wir blind.

Leutheusser-Schnarrenberger: Das stimmt nicht. Telekommunikationsdaten spielen in 99,5 Prozent aller Ermittlungsverfahren keine Rolle. Und die Telekommunikationsunternehmen haben Daten, auf die unsere Sicherheitsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen zurückgreifen können. Wir sind nicht blind. Es ist verantwortungslos, falsche Eindrücke in der Öffentlichkeit zu erwecken, um eigene Ziele besser verfolgen zu können.

Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Kirchhof, hat im Abendblatt-Interview angeregt, die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern zu erweitern. Was halten Sie davon?

Leutheusser-Schnarrenberger: Dass sich ein Verfassungsrichter in dieser Form äußert, hat es nach meiner Kenntnis noch nicht gegeben. Interessant daran war Kirchhofs Hinweis, dass das geltende Grundgesetz einen Einsatz der Bundeswehr im Innern auf wenige Fälle begrenzt. Das bestätigt die Haltung der FDP.

Eine Änderung des Grundgesetzes schließen Sie aus?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir sind strikt dagegen, die Bundeswehr über die heutigen Möglichkeiten hinaus im Innern einzusetzen. Für die Abwehr von Gefahren haben wir die Polizei.

Was ist, wenn Flugzeuge als Terrorwaffe benutzt werden?

Leutheusser-Schnarrenberger: Dazu gibt es eine klare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wir sollten mit guten Kontrollen auf dem Boden verhindern, dass Flugzeuge zur Terrorwaffe werden und nicht auf den Abschuss von Flugzeugen in der Luft setzen.

Der Terroranschlag, vor dem der Innenminister für die Zeit vor Weihnachten gewarnt hatte, ist ausgeblieben. Hat de Maizière überzogen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Er musste eine Gratwanderung vollziehen, und er hat angemessen reagiert.

Ist jetzt Zeit für Entwarnung?

Leutheusser-Schnarrenberger: Darüber entscheiden die Sicherheitsbehörden. Ich fände es gut, wenn der Bundestag wieder frei zugänglich wäre für die Bürger.