Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, ein Schüler Joseph Ratzingers, über den Rücktritt des Heiligen Vaters und dessen Pontifikat.

Hamburg. Weihbischof Hans-Jochen Jaschke befand sich am Montag gerade in einem Gespräch mit dem evangelischen Bischof von Oslo, Ivar Eidsvig, als seine Sekretärin an die Tür klopfte und die Nachricht überbrachte: "Der Papst ist zurückgetreten!" Seitdem stehen die Telefone bei dem Ratzinger-Schüler nicht mehr still. Allen, die Hans-Jochen Jaschke zu diesem Ereignis befragen, sagt er: "Der Papst schreibt Geschichte!"

Hamburger Abendblatt: Warum, Herr Weihbischof, schreibt der Papst Geschichte?

Weihbischof Dr. Hans-Jochen Jaschke: Sein Rücktritt hat historischen Charakter. Denn es ist ein Zeichen von Größe und Stärke, dieses Amt abzugeben, das er rund acht Jahre ausgeübt hat. Mit diesem klugen und starken Schritt wird der deutsche Papst in die Geschichtsbücher eingehen. In der Kirchengeschichte kommen päpstliche Rücktritte eigentlich nicht vor. Der letzte war der von Coelestin V. im Jahr 1294 nach sechs Monaten Amtszeit.

Stand Benedikt XVI. mit seinem Rücktritt unter Druck im Vatikan?

Jaschke: Nein, es ist sein freier Entschluss gewesen. Es ist nichts passiert, was ihn zu diesem Entschluss gedrängt haben könnte. Außer der Erkenntnis, dass mit zunehmendem Alter die Kräfte nachlassen.

Wie haben Sie selbst, Herr Weihbischof, den Tag des Rücktritts erlebt?

Jaschke: Am Abend zuvor saß ich noch als Gast in der Talkrunde von Günther Jauch. Montagmorgen traf ich mich in einem Berliner Hotel zum Frühstück mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider. Danach ging es mit dem ICE nach Hamburg zurück. Das Treffen mit dem Bischof von Oslo stand in meinem Terminkalender.

Und da klopfte die Sekretärin an die Tür?

Jaschke: Ja, Sie hatte die Nachricht per Anruf von einer leitenden Mitarbeiterin erfahren und noch mal gegenrecherchiert, ob das stimmt. Es stimmte. Eigentlich wollte ich mit dem evangelischen Bischof über den interreligiösen Dialog auf europäischer Ebene sprechen. Doch das Hauptthema war natürlich der Rücktritt.

Sind Sie von diesem Entschluss des Heiligen Vaters überrascht?

Jaschke: Eigentlich nicht, denn er hatte sich in einem Gespräch vor zwei Jahren bereits geäußert, dass so etwas im Rahmen des Vorstellbaren liegt. Das Leben des Menschen - jedes Menschen - hat seine Zeit. Die Kirche steht und fällt nicht mit dem Papst. Ich bin dankbar für seinen Dienst!

Welche theologischen und kirchlichen Leistungen werden mit seinem Pontifikat verknüpft werden?

Jaschke: Ich denke, es ist vor allem sein dreibändiges Jesus-Buch, das er nicht in erster Linie als Papst in seiner Autorität, sondern als Theologieprofessor geschrieben haben. Das Buch ist sein Vermächtnis. Es ist ein kluges, einladendes Buch.

Gibt es einen weiteren Meilenstein?

Jaschke: Da ist seine erste Enzyklika "Deus caritas est" (Gott ist Liebe) zu nennen. Er beschreibt die Liebe in all ihren Ausprägungen, auch die Sexualität und den Eros. Mit der Erinnerung an die göttliche Liebe begann sein Pontifikat. Das bleibt ein großes Zeichen.

Vielen in Kirche und Gesellschaft gilt Benedikt XVI. als antimodernistisch.

Jaschke: Dieser Begriff stammt aus dem 19. Jahrhundert. Und er trifft auf ihn nicht zu. Wenn es freilich darum geht, aus dem Christentum ein "Christentum light" zu machen, hat der Heilige Vater seine Stimme kritisch erhoben und ein solches Denken infrage gestellt. Andererseits konnte er für die katholische Kirche in allem Freimut sagen: Das Kondom kann der Anfang von Moralität sein. Solche Äußerungen sind um die Welt gegangen.

Das wurde auch höchste Zeit, in diese Richtung zu denken.

Jaschke: Ja, Joseph Ratzinger hat sich auch in seinem Pontifikat als freier Denker erwiesen, der von seiner Theologie geprägt ist.

Die Missbrauchsfälle in der Kirche haben seine Amtszeit überschattet.

Jaschke: Der Papst gehört zu denen, die vehement die Aufklärung gefordert haben. Und zwar ohne jede Toleranz gegenüber den Tätern. Er hat klar und eindeutig Position bezogen und sich gegen jene gestellt, die auch Nachsicht walten lassen wollten. Der Papst selbst unterscheidet zwischen zwei Skandalen. Dem grundlegenden "Skandal", dass Christus am Kreuz gestorben ist. Und den sekundären Skandalen, die Menschen anrichten, die uns wehtun und beschämen müssen. Diese fordern lückenlose Aufklärung und Konsequenzen.

Wie beurteilen Sie das Engagement des Papstes im Dialog mit den Muslimen?

Jaschke: Einerseits hat er klar und deutlich gesagt, dass Gewalt im Namen Gottes nicht sein darf. Es gibt daher keine religiöse Rechtfertigung für Anschläge und Kriege. Andererseits hat er die Muslime daran erinnert, dass Gott und menschliche Vernunft einander brauchen.

Was ist an dieser Aussage so ungewöhnlich?

Jaschke: Für viele Muslime ist Allah absolut transzendent, so etwas wie Schicksal. Aber im christlichen Verständnis gibt es eine Analogie zwischen göttlicher und menschlicher Vernunft. Gott ist nicht unvernünftig. Und die Vernunft ist der Vorhof des Glaubens.

Sie, Herr Weihbischof, sind Schüler des Theologieprofessors Joseph Ratzinger. Der spätere Papst ist Ihr Doktorvater Ihrer Dissertation über den Heiligen Geist und die Alte Kirche. Seit dieser Zeit gehören sie dem Schülerkreis an, der sich regelmäßig mit seinem Lehrer trifft. Wie viele solcher Treffen gab es?

Jaschke: In den ganzen Jahren bestimmt Dutzende. Erst haben wir ihn als Bischof von München getroffen und später als Kardinal. In dieser Zeit habe ich ihn noch mit "Du" angesprochen. Seit Joseph Ratzinger Papst ist, lädt er uns einmal im Jahr mehrerer Tage lang zum Schülertreffen ein.

Und sagen Sie noch immer wie früher "Du" zu ihm?

Jaschke: Nein, seit er Papst ist, sage ich "Sie" und "Heiliger Vater."

Welche Themen besprechen Sie bei solchen Schülertreffen?

Jaschke: Es geht zum Beispiel um Glaube und Naturwissenschaft, Auslegung der Heiligen Schrift und den interreligiösen Dialog. Wir sind gut 40 Teilnehmer und Teilnehmerinnen - alles frühere Doktoranden.

Die haben bestimmt alle Kirchenkarriere gemacht?

Jaschke: Nein, nicht viele. Es gibt mit mir lediglich drei Bischöfe. Andere sind Lehrer, Wissenschaftler, Institutsdirektoren geworden.

Wenn der Papst nun seinen Hut genommen hat, werden diese Treffen dann mit ihm vielleicht künftig nicht mehr stattfinden?

Jaschke: Ich gehe davon aus, dass sie stattfinden werden. Der nächste Termin im August steht schon fest. Die Flüge sind schon gebucht. Und vielleicht werde ich dann von ihm wieder gefragt: Glauben die Menschen in Hamburg noch?

Befindet sich die katholische Kirche nach dem überraschenden Rücktritt jetzt in einer Führungskrise?

Jaschke: Nein. Von einer Führungskrise kann man nicht sprechen. Der Papst ist nicht die ganze Kirche. Nach seinem Rücktritt gelten klare Führungsregeln.