Papst Benedikt legt sein Amt nieder. Die katholische Kirche hat er nicht vorangebracht

Die Ankündigung seines Rücktritts verfasste Papst Benedikt XVI. auf Latein. Oberflächlich betrachtet passt das ins Bild des konservativen Papstes aus Marktl am Inn, das ihm hierzulande spätestens als Leiter der Glaubenskongregation anhaftet. Ganz zu Unrecht traf ihn dieses Urteil nicht: Er, der höchste Glaubenshüter des Vatikan, verteidigte die Ehelosigkeit der Priester, lehnte Lebenspartnerschaften von Homosexuellen oder das Frauendiakonat strikt ab. Ratzinger war mitverantwortlich für den Ausstieg aus der Schwangerenberatung in Deutschland und beendete die Diskussion um die Teilnahme von Geschiedenen an der Eucharistie mit einem unbarmherzigen "Non". In der Weltkirche drängte er früh die linksliberale Theologie der Befreiung in Lateinamerika zurück und mit ihr das Modell einer Kirche der Armen.

Und doch trifft diese einseitige negative Sichtweise nicht das Wirken des 85-Jährigen. Zugleich ist der Theologe ein brillanter Glaubenserklärer - ausgerechnet in einem glaubensentwöhnten Land erobern seine Bücher die Bestsellerlisten. Er vermag den Mensch Jesus und die Gnade Gottes zu erklären. In seinem Amt hat er diese Gnade gegenüber den Reformern vermissen lassen. Er, der beim Zweiten Vatikanischen Konzil und an den Universitäten der 60er-Jahre selbst ein Reformer der Kirche war, stellte sich später aus Furcht um die Einheit der Katholiken gegen Reformen: In einer Anpassung an den Zeitgeist sah er den Zerfall der Kirche.

Für die deutschen Katholiken waren die acht Jahre ein schwieriges Pontifikat. Viele Erwartungen und Hoffnungen hat er enttäuscht - die Begeisterung eines "Wir sind Papst" wich einem "Habebamus Papam" - wir hatten einen Papst. Setzte er zunächst beeindruckende Signale wie die Einladung an den Kirchenkritiker Hans Küng oder jüdische und muslimische Glaubensvertreter, kamen bald andere Botschaften aus Rom. Die Wiedereinführung der lateinischen Messe und die Annäherung an die reaktionären Piusbrüder waren als klare Absage an die Moderne zu verstehen. Zumindest wurde sie so verstanden: Seit Jahren haben konservative bis reaktionäre Kräfte in der katholischen Kirche Oberwasser, produzieren sich, bevölkern Talkshows und gefallen sich mit schrillen Positionen. In der Oberflächlichkeit des Mediengeschäfts finden sie Gehör. Die Mehrheit betet, hofft - und schweigt. Liberale Katholiken ziehen sich enttäuscht zurück oder kehren Rom den Rücken. Selbst viele Kirchenvertreter sind wütend, frustriert, ja sprachlos. Hätte der Papst mit derselben Verve um die Herzen und Hirne der Reformer geworben wie um die Piusbrüder, die Katholische Kirche stünde heute besser da.

Zuletzt traf die Aufdeckung massiver Fälle von Kindesmissbrauch die Institution bis ins Mark. Tief erschüttert haben diese Sünden auch Papst Benedikt. Ihm fehle die Kraft für das Amt, heißt es in seiner Rücktrittserklärung. Er scheide zum Wohle der Kirche. Tatsächlich schenkt Benedikt seiner Kirche die Chance zur Wandlung und zur Veränderung. Diese scheinen dringender denn je. Natürlich ist der Wechsel auf dem Bischofsstuhl Roms weder ein Trainerwechsel noch die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden. Die Kirche gründet auf der Lehre Christi und einer zweitausendjährige Tradition. Sie wird und soll nicht jede Mode mitgehen. Doch der neue Papst muss die Kirche zurück zu den Menschen bringen.

Der große Papst Johannes XXIII. sprach beim Zweiten Vatikanischen Konzil davon, die Fenster zur Welt "aufzustoßen, um den Heiligen Geist einzulassen". 50 Jahre danach bedarf es frischen Windes, um den grauen Staub der letzten Jahrzehnte davonzutragen. Es bedarf frischer Luft, die alle Gläubigen atmen lässt. Der nächste Papst wird Fenster und Türen öffnen müssen - der Heilige Vater muss zurück zu den Kindern Gottes.