Jeden Monat 320 Verfahren. Neuer Trend: Streit um Kürzungen des Geldes, weil Jobs abgelehnt werden.

Hamburg. Die Welle von Klagen rund um das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) hat zu einer Überlastung der deutschen Sozialgerichte und zur Personalnot in Hamburgs Justiz geführt. Nach neuen Zahlen für die ersten sechs Monate 2008, die dem Abendblatt vorliegen, ist der Monatsdurchschnitt der neuen Klagen in Hamburg von 287 in 2007 auf 320 im ersten Halbjahr dieses Jahres gestiegen. Das Bundessozialgericht in Kassel hat sich entschieden, gleich zwei Senate mit Hartz-IV-Verfahren zu betrauen. Der Präsidialrichter des Landessozialgerichts, Gundolf Wagner, spricht für Hamburg von einem "personellen Engpass". Über die weitere Verlagerung von Richterstellen werde derzeit gesprochen.

Gegenüber dem Abendblatt sagte Wagner: "Die Verfahren betreffend Sanktionen gegen Leistungsempfänger haben steigende Tendenz." Das bedeutet, dass beispielsweise Hartz-IV-Empfängern Jobs angeboten werden, die sie aber ablehnen. Weil ihnen dann ein Teil der Gelder gestrichen werden kann, ziehen sie vor Gericht. Diese Klagen gegen Hartz IV lösen allmählich die Klagen wegen der Kosten für Miete, wegen zu großer Wohnungen und zu luxuriöser Autos ab.

Außerdem bemühen weiterhin viele Hartz-IV-Empfänger die Gerichte, weil ihnen Leistungen gestrichen werden. Wer neben dem Bezug von Hartz IV selbstständig ist, kann sich in vielen Fällen "arm rechnen", wie die Experten der Arbeitsagentur das nennen. Kürzt die Behörde diesen Selbstständigen das Geld, ziehen sie vor den Kadi.

Ob mit Recht oder nicht - das wird auch für kleinste Beträge oft erst vor dem Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschieden. "Für einen ALG-II-Empfänger sind auch wenige Euro viel Geld, und er hat Anspruch darauf, dass Streitfragen zunächst im Widerspruchverfahren behördenintern geklärt werden und ihm danach gerichtlicher Rechtsschutz durch die Sozialgerichte gewährt wird", sagte Richter Wagner.

Nach Angaben des Bundessozialgerichts gab es 2007 bundesweit 153 858 Klagen zu Hartz IV, 37 000 Fälle mehr als 2006. "Die Kurve geht langsam auf den Zenit zu", sagte BSG-Präsident Peter Masuch. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) wurden im ersten Halbjahr 2008 insgesamt 61 972 Klagen erhoben - 36 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2007.

Beim Bundessozialgericht liegt die Erfolgsquote der Klagen unter 30 Prozent. Richter Wagner spricht für Hamburg nach "vorsichtiger Schätzung" von 50 Prozent Erfolgsquote der Kläger.

Die Kommunen laufen derzeit Sturm, weil sie wegen der explodierenden Energiepreise voraussichtlich eine Milliarde Euro mehr für Heizkosten von Hartz-IV-Empfängern aufbringen müssen. Miete und Heizkosten werden zwar erstattet, die Ausgaben für Strom und Warmwasser müssen die Bezieher von ALG II aber selbst tragen. Doch auch dort laufen die Kosten davon. Deshalb will die SPD den Hartz-Regelsatz von 351 Euro überprüfen lassen. Auch die Union will bis Ende September Ideen dazu vorlegen.