Sie wollten so viele Menschen wie möglich töten: Im Prozess gegen die Terrorverdächtigen der so genannten Sauerland-Gruppe vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf werden ihre Strukturen immer deutlicher. Fritz Gelowicz (29), Adem Yilmaz (30), Daniel Schneider (23) und Atilla Selek (24) hatten klar verteilte Rollen. So funktionierte der deutsche Ableger der Islamischen Dschihad Union (IJU), sagten die Ermittler.

Düsseldorf. Selbst in einer islamischen Terrorzelle herrscht offenbar deutsche Gründlichkeit. Es gibt einen Chef, einen Finanzminister, einen Bombenspezialist und einen Materialbeschaffer. Die Rollen der Terrorverdächtigen waren laut Anklage in der Sauerlandgruppe unter den vier Männern streng aufgeteilt. Und wer sie im gerade gestarteten Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf beobachtet, sieht wie gut sie in diese Rollen hineinpassen.

Fritz Gelowicz, der Chef

Wenn er den Gerichtsaal als erster der vier Angeklagten betritt, ist gleich klar, dass er das Sagen hat. Lässig schiebt er die Hände in die Taschen seiner verwaschenen Jeans. Die Haare sind frisch geschnitten, der Vollbart gestutzt. Durch die 24 Löcher in dem meterhohen Sicherheitsglas begrüßt er seine Anwälte Dirk Uden und Hannes Linke. Dann verfolgt er mit wirklich entspannter Haltung die Verhandlung. Völlig unerschüttert, darüber, dass die Anklage ihn für den Kopf der deutschen Islamische Dschihad Union (IJU) hält.

Er sei als „Entscheidungsträger“ 2006 aus einem Terrorlager der IJU an der pakistanisch-afghanischen Grenze zurückgekehrt. Dort hatten sich alle Angeklagten aufgehalten. Über ihn lief demnach die gesamte Kommunikation der Gruppe, er hielt sie in Deutschland zusammen und hielt per Internet den Kontakt zu den Oberen der IJU irgendwo am Hindukusch. 216 Mal besuchte er dafür 68 Callshops, 110 WLAN-Nutzungen registrierte die Polizei, 26 Anrufe aus öffentlichen Telefonzellen – alles höchst konspirativ.

Von Deutschland aus dirigierte er Atilla Selek, der in der Türkei die Zünder für die selbstgebauten Bomben aus Wasserstoffperoxid, besorgen sollte. Er selbst kümmerte sich um die Beschaffung der Chemikalie. Am 2. September rief Gelowicz Yilmaz und Schneider zu einem Treffen in Stuttgart zusammen, um dort die Anschläge final zu planen. Zwei Tage später schlug die Polizei zu und verhaftete die drei in einem angemieteten Ferienhaus in Oberschlehdorn im Sauerland.

Gelowicz ist neben Daniel Schneider einer der beiden Konvertiten in der Gruppe. Er stammt aus einer der Islamisten-Hochburgen Ulm. Der Deutsche, dessen Familie polnische Wurzeln hat, trat vor mehr als zehn Jahren zum Islam über, vor zwei Jahren heiratete er die heute 27 Jahre alte Filiz, eine Sachbearbeiterin aus Ulm. Zum Prozess erschien sie als Zeugin voll verschleiert, legte erst vor dem Richter ihren Schleier vor dem Gesicht ab. Wie alles anderen Familienangehörigen sagte auch sie nicht aus. Aber so konnte Gelowicz wenigstens sehen, dass sie ihm beim Aufstehen ein fast bezauberndes Lächeln schenkte.

Adem Yilmaz, der Finanzier

Er trägt seine Verachtung für das, was um ihn herum passiert, am deutlichsten zur Schau. Betritt das Gericht den Saal oder werden Zeugen vereidigt, erhebt er sich nicht. Angeblich verbietet es ihm seine Religion. Der Türke, der mit seiner Familie in Langen bei Frankfurt lebte, sorgte vor allem für die Finanzen der Gruppe. Die Ermittler fanden später bei ihm einen Umschlag mit 5300 Euro und der arabischen Aufschrift „Staatskasse“. Yilmaz kümmerte sich auch um falsche Pässe und das Wasserstoffperoxid zum Bombenbau.

Seinen Bruder Burhan (22) schickte er mit 1100 Euro – erschlichene Sozialleistungen – eine Fernglas, einem Nachtsichtgerät und einer Kamera nach Istanbul, um die Dinge von dort aus weiter in Terrorlager der IJU zu leiten.

Zusätzlich schickte Yilmaz noch andere Kuriere und schleuste auch Ausbildungswillige in die Terrorlager. Darunter Cüneyt Ciftci, ein Türke aus Franken, der als erster Selbstmordattentäter aus Deutschland zählt. Er sprengte sich im März 2008 in Afghanistan in die Luft. Man kann es gar nicht glauben, aber vor seiner Terrorkarriere arbeitete Yilmaz tatsächlich mal als Kaufhausdetektiv.

Im Prozess setzt er immer wieder ein starres Lächeln auf. Als er seinen als Zeugen geladenen Bruder Burhan sieht, hebt er die Hand zum Victory-Zeichen und legt den Finger auf die Lippen. Pssst, nichts verraten!

Daniel Schneider, der Materialbeschaffer

Er ist mit 23 Jahren der Benjamin unter den Angeklagten, aber vielleicht einer der radikalsten. Der Konvertit fiel selbst in der Moschee in Neunkirchen im Saarland unangenehm deswegen auf. Sein Bart ist in der eineinhalbjährigen U-Haft voll und lang geworden. Die Haare sind zum Meckischnitt gestutzt, das weiße Hemd frisch gebügelt. Seine gehäkelte Kopfbedeckung nimmt er artig ab, sobald er den Gerichtssaal betritt. Als er seine Mutter sieht, zu der er jahrelang keinen Kontakt gehabt haben soll, strahlt er über das ganze Gesicht.

Eigentlich ein netter Junge! In der Anklage hört sich das jedoch anders an. Bei ihm fanden die Ermittler eine Einkaufsliste mit der Überschrift „Supermarkt“. Darauf stand Mehl (braucht man zur Bombenherstellung mit Wasserstoffperoxid) und Code-Worte für Transistor und Schaltpläne. Schneider schleuste demnach auch auf eigenen Faust Eric Breininger und Hussein al-Malla in IJU-Terrorlager. Der Konvertit Breininger droht inzwischen mit Selbstmordanschlägen in Deutschland.

Atilla Selek, Einkäufer der Zünder

Mit unbeweglicher Mine verfolgt der Deutsche mit türkischen Wurzeln den Prozess. Nur sein rotes Gesicht und das Kneten seiner Stirn verrät den Stress, unter dem er steht. Er ist der vierte im Bunde, der als Letzter in der Türkei festgenommen wurde. Dorthin er im Februar 2007 ausgereist und stand laut Anklage in ständiger Verbindung mit Fritz Gelowicz. Selek sollte die Zünder beschaffen und den anderen drei im Falle einer überstürzten Flucht den Weg bereiten. Wie Gelowicz stammt er aus Ulm. Seine drei sehr modern und westlich gekleideten Schwestern, sein Bruder und der Vater würdigten ihn Gerichtssaal keines Blickes, nur die Mutter warf ihm einen langen ernsten Blick zu. Selek starrte an die Wand.

Das Verfahren gegen die Sauerland-Gruppe ist eines der größten Terrorverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik. Den vier Angeklagten wird die Vorbereitung verheerender Autobomben-Anschläge in deutschen Großstädten und die Zugehörigkeit zur Terrorgruppe Islamische Dschihad-Union (IJU) zur Last gelegt. Der Prozess wird fortgesetzt.