Beamte und Selbstständige sollen Beiträge zahlen, fordert die Vizevorsitzende des Gewerkschaftsbundes im Abendblatt.

Hamburg. Abendblatt:

Frau Buntenbach, die Rente soll im nächsten Juli etwa um 2,75 Prozent steigen. Das klingt so, als ob drei Monate vor der Bundestagswahl eine kritische Masse von 20 Millionen Wählern besänftigt wird.

Annelie Buntenbach:

Es wäre schön, wenn es eine etwas höhere Rentenerhöhung als in diesem Jahr gäbe. 1,1 Prozent waren nicht üppig. Davor gab es zwei Nullrunden. Das hat dazu geführt, dass die Renten nicht nur von der Lohnentwicklung, sondern auch von der Preisentwicklung immer weiter abgehängt wurden. Aber selbst wenn es eine höhere Rentenanpassung gibt, sind wir immer noch hinter der Inflationsrate. Und das Problem der Zukunft ist keineswegs gelöst. Jetzt steigt schon die Zahl derjenigen, die in die Grundsicherung gedrängt werden. In Zukunft fürchte ich, werden das viel mehr werden, wenn die Politik nicht gegensteuert. Da kommen zwei Dinge zusammen: Immer mehr Menschen müssen im Niedriglohnbereich arbeiten, und die Renten sind um bis zu 25 Prozent gekürzt.



Abendblatt:

Was schwebt Ihnen für die 733 000 Menschen in der Grundsicherung für Ältere vor?

Buntenbach:

Wer sein Leben lang gearbeitet hat, muss im Alter auf eine Rente zählen können, die zum Leben reicht - mit dieser Forderung werden wir uns in die Wahlkämpfe einmischen und alle Parteien damit konfrontieren. Der Zusammenbruch an den Finanzmärkten hat gezeigt, dass nicht diejenigen von gestern sind, die auf die Sicherheit der gesetzlichen Rente setzen. Das ist uns jahrelang eingeredet worden. Nur der Kapitalmarkt brächte die Rendite, die wir für eine sichere Altersversorgung brauchen. Das ist jetzt als Unsinn entlarvt. Wir werden werben für die Reform der Rentenversicherung, für die Eindämmung prekärer Beschäftigung und andere Reformen am Arbeitsmarkt.



Abendblatt:

Welche Reformen schlägt der DGB vor?

Buntenbach:

Erst einmal darf der Arbeitsmarkt nicht weiter so nach unten ausfransen. Wir brauchen als unterste Auffanglinie Mindestlöhne nicht unter 7,50 Euro und die Eindämmung prekärer Beschäftigung. Wer von der Hand in den Mund lebt, kann für die Rente nichts zurücklegen. Zum andern darf das Rentenniveau nicht so weit sinken, wie die Politik das beschlossen hat. Ausbildungszeiten wurden gestrichen und Ähnliches mehr. Für Hartz-IV-Empfänger reicht es nicht, wenn 2,19 Euro im Jahr auf die spätere monatliche Rente oben draufkommen. Es schafft nur jeder Fünfte aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung die Rente mit 65, am Bau nur jeder Zehnte. Die anderen sind schon früher raus, weil sie arbeitslos sind oder gesundheitlich nicht mehr können.



Abendblatt:

Die Rentenversicherung sieht noch keine massive Altersarmut zurzeit. Schüren Sie Panik?

Buntenbach:

Nein. Aber wir müssen deutlich machen, dass eine Welle von Altersarmut auf uns zukommt und dass die Politik dringend umsteuern muss. Sie kann doch nicht einfach den Kopf in den Sand stecken! Eine ganze Reihe von praktischen Vorschlägen liegen auf dem Tisch - dazu gehört, dass die Rentenversicherung auf eine breitere Basis gestellt werden muss. Alle gehören hinein: Selbstständige, Manager, Politiker und mit entsprechenden verfassungsgemäßen Übergangsfristen auch die Beamten. Gerade die kleinen Selbstständigen haben ein hohes Risiko von Altersarmut. Nur kann es nicht sein, dass die alleine die Belastung tragen müssen. Die Arbeitgeber müssen sich beteiligen. Es gibt Studien von Prognos, die sagen: Wenn man die Rentenversicherung auf eine breitere Basis stellt, wären die Beiträge stabiler. Das wäre für die Arbeitgeber gut.



Abendblatt:

Haben nicht die begrenzten Lohnzusatzkosten die gute Konjunktur erst ermöglicht?

Buntenbach:

Aber die Leistungen müssen doch auch stimmen! Und: Vielfach haben sich Arbeitgeber doch davon entlastet. Die Arbeitnehmer müssen immer mehr privat absichern, auch in der Gesundheit. Da zahlen die Angestellten 0,9 Prozent Sonderopfer. Diese einseitige Form der Belastung gehört abgeschafft. Die Lasten einer alternden Gesellschaft können nicht nur bei den Arbeitnehmern abgeladen werden. Es gibt eine Unkultur, dass in jedem zweiten Unternehmen schon keiner mehr arbeitet, der über 50 ist.