Lösung im Gesundheitsstreit möglich. CDU und CSU setzen auf Schadensbegrenzung. Sigmar Gabriel (SPD) bietet Zusammenarbeit an.

Berlin. Schadensbegrenzung lautet in der zerstrittenen Berliner Koalition gestern das Motto des Tages. Nachdem sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Morgen mit den Spitzen des Regierungsbündnisses zum Koalitionsausschuss getroffen hatte, waren CDU und CSU demonstrativ bemüht, die zuletzt eskalierte Auseinandersetzung um die Reformpläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) tiefer zu hängen. Noch tags zuvor hatte es aus der FDP-Spitze geheißen, dass sich auf der Gesundheitsklausur des Kabinetts am Freitag und Sonnabend das Schicksal der Koalition entscheiden könne.

Trotz der erbittert geführten Wortgefechte zwischen CSU und Liberalen gebe es Einigungschancen in der Debatte um eine einkommensunabhängige Gesundheitspauschale, hieß es aus beiden Parteien. Keinesfalls entscheide sich am Ausgang der zweitägigen Klausur, an der die Spitzen der Regierung nicht teilnehmen, die Frage, ob Schwarz-Gelb noch eine Zukunft habe. Allein schon deshalb nicht, weil die Mitglieder der Klausur gar nicht beschlussfähig seien. Unionsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) mahnte, die Gesundheitspolitik betreffe 40 Millionen Menschen. Die Koalition solle sich bei einem derart wichtigen Thema die nötige Zeit nehmen, "um zu einer gemeinsamen Position zu kommen, die dann auch trägt und akzeptiert wird". Das war auch eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass die Fachpolitiker sich am Wochenende vielleicht doch wieder nicht einig werden.

Auch die CSU rüstete im Streit über die von ihr so vehement abgelehnten "einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträge" ab: "Mit Philipp Rösler als Gesundheitsminister wird diese Koalition einen guten Kompromiss finden", sagte CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich. "Insofern braucht sich niemand Sorgen um diese Koalition zu machen." Friedrich warnte die FDP aber, "nicht immer nur über Einnahmeerhöhungen" zu reden. In den vergangenen Monaten hatte es in der CSU-Landesgruppe heftigen Unmut über den unversöhnlichen Kurs der Münchner Parteispitze in dieser Frage gegeben. Sowohl der CSU-Vorsitzende und Ministerpräsident Horst Seehofer als auch sein Gesundheitsminister Markus Söder und CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hatten mehrfach erklärt, Röslers Pläne auf keinen Fall mitzutragen. Auch Mitglieder des CDU-Präsidiums beklagten sich daraufhin, dass die CSU Rösler regelrecht demontiert und damit die Liberalen tief verstört habe.

Der einflussreiche CDU-Europapolitiker Elmar Brok warnte unterdessen im Deutschlandfunk, dass die Basis der Partei mit großem Unverständnis nach Berlin schaue. Es sei "unverständlich", dass man nicht die Ruhe bewahrt, sich in Ruhe zusammensetze und Konzeptionen erarbeite, "die unser Land voranbringen". Manche hätten nicht verstanden, "dass in einer Koalition nicht das gegenseitige Auftrumpfen voranbringt, sondern dass der gemeinsame Erfolg voranbringt".

Was die ebenfalls koalitionsintern umstrittene Verlängerung der AKW-Laufzeiten betrifft, so will die Regierung ihre Entscheidung offenbar nach hinten verschieben. Nachdem zunächst ein Termin Ende Juni angepeilt worden war, sollen die Details nun bis Ende August geklärt sein. Allerdings zeichnet sich inzwischen ab, dass die Atommeiler mindestens ein Jahrzehnt länger laufen sollen, als von Rot-Grün vereinbart. Die Maximaldauer steht noch nicht fest.

Unterdessen hat SPD-Chef Sigmar Gabriel der schwarz-gelben Regierung angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise bei wichtigen Entscheidungen die Zusammenarbeit angeboten. "Auch ohne Große Koalition könnte man in den zentralen Fragen unseres Landes einen Pakt der Vernunft schließen", sagte Gabriel dem "Handelsblatt". Die SPD wolle keine Große Koalition, "aber natürlich kennen wir den Ernst der Lage". Nach wochenlangen Verhandlungen mit der Regierung ist zudem die Reform der Jobcenter unter Dach und Fach. Die SPD im Bundestag werd morgen der erforderlichen Grundgesetzänderung zustimmen, kündigte der stellvertretende Fraktionschef Hubertus Heil an. "Es ist nicht selbstverständlich, dass die Opposition der Regierung aus der Patsche hilft" und sei "schon ungewöhnlich", dass Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) "nicht eine Sekunde" an den Gesprächen mit der SPD teilgenommen, sondern alles an ihren Staatssekretär delegiert habe. In den fast 350 Jobcentern betreuen Arbeitsagenturen und Kommunen die Arbeitssuchenden und Hartz-IV-Empfänger gemeinsam. Die Koalition und die SPD hatten zwar Grundzüge der Reform vereinbart, mussten aber noch Details klären.