Das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit über mehr Kindergeld und die Folgen eines höheren Schonvermögens.

Hamburg. Hamburger Abendblatt: Herr Alt, das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit die Ansprüche von Kindern bei Hartz IV. Sehen Sie neue finanzielle Belastungen auf die Bundesagentur für Arbeit zukommen?

Heinrich Alt: Nicht die Bundesagentur für Arbeit, sondern der Steuerzahler würde dadurch finanziell belastet. Es gibt aber zusätzlich einige Änderungen, die im Ergebnis der Koalitionsverhandlungen entstanden sind, die die Bundesagentur betreffen. Dazu gehören bei Hartz IV die geplante Erhöhung des Schonvermögens und die Höhe des anrechnungsfreien Zuverdienstes. Man muss dabei sorgfältig darauf achten, ob damit das Gesamtsystem und die Zahl der Berechtigten nicht auch größer werden könnten.

Abendblatt: Sind die Änderungen an dieser Grundsicherung berechtigt?

Alt: Bei dieser Frage gibt es kein richtig oder falsch. Man muss sich generell die Frage stellen, ob es sinnvoll ist, Hartz-IV-Empfänger direkt mit noch mehr Geld zu unterstützen, oder ob man die Rahmenbedingungen verbessert. Ein Beispiel: Es werden 650 000 Alleinerziehende mit Kindern unter 16 Jahren staatlich unterstützt. In Westdeutschland aber gibt es das große Problem, dass die zur Verfügung stehende Kinderbetreuung nicht zu den Arbeitszeiten der Frauen passen. Für Verkäuferinnen oder Friseurinnen etwa ist Sonnabend einer der Hauptarbeitstage, aber Kindertagesstätten haben dann nicht geöffnet. Statt über weitere Kindergelderhöhungen nachzudenken, sollten die Rahmenbedingungen für die Kinderbetreuung verbessert werden, damit junge Mütter oder Väter die Chance auf einen Arbeitsplatz haben, der sich auch mit der Familie vereinbaren lässt. Das ist eine schwierige Abwägung, die politisch geklärt werden muss.

Abendblatt: Kommt Kindergeld bei den Kindern aus Hartz-IV-Familien an?

Alt: Dazu muss man wissen, dass Hartz-IV-Empfängern das Kindergeld angerechnet wird. Um Familien finanziell zu unterstützen, hat die Politik in diesem Jahr einen Kinderbonus und ein Schulstarterpaket von jeweils 100 Euro eingeführt.

Abendblatt: Welche Auswirkungen wird die Verdreifachung des Schonvermögens für die Bundesagentur haben?

Alt: Bis September dieses Jahres haben wir 11 000 Anträge auf Hartz IV abgelehnt, weil die Antragsteller ein zu hohes Vermögen hatten. Demgegenüber standen 5,5 Millionen Bewilligungsbescheide. Daran erkennt man, dass zu hohes Vermögen kaum eine Rolle spielt. Bei einer Erhöhung könnte natürlich der Kreis der Anspruchsberechtigten auf Hartz IV steigen, und es könnte auch den Effekt geben, dass die Erhöhung des Schonvermögens dazu genutzt wird, um früher aus dem Arbeitsleben auszusteigen und die Zeit bis zur Rente mit Leistungen der Grundsicherung zu überbrücken.

Abendblatt: Die Pleite von Quelle schickt 4000 Arbeitnehmer in die Arbeitslosigkeit. Kann das auch bei Opel passieren?

Alt: Alles, was dazu dient, die Werke und Arbeitsplätze bei Opel zu erhalten, ist außerordentlich positiv. Wenn wir durch Qualifizierung von Mitarbeitern dazu einen Beitrag leisten können, tun wir das sehr gern.

Abendblatt: Unterstützen Sie Staatshilfen?

Alt: Wenn es um Arbeitsplätze in diesen Größenordnungen geht, ist Politik natürlich angehalten, alles Erdenkliche für die Betroffenen zu versuchen.

Abendblatt: Die Jobcenter, in denen Arbeitslose von der Bundesagentur für Arbeit und kommunalen Mitarbeitern gemeinsam betreut werden, gelten als Erfolgsgeschichte. Nun müssen sie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgelöst werden. Wie wird das umgesetzt?

Alt: Es wird ja keine Auflösung geben, nur eine andere Art der Zusammenarbeit. Der Koalitionsvertrag legt fest, dass Bundesagentur und Kommunen ihre Aufgaben künftig getrennt wahrnehmen. Davon sollen die Kunden möglichst wenig merken. Sie interessieren sich nicht für das Organisationsmodell, sondern sie wollen ihre Ansprechpartner weiterhin finden, eine gute Arbeitsvermittlung erhalten und pünktlich ihr Geld bekommen. Wir wollen deswegen keine Jobcenter auflösen. Uns bleiben aber nur noch 13 Monate Zeit.

Abendblatt: Ist das zu schaffen?

Alt: Meine große Bitte an alle Beteiligten ist, das zu akzeptieren, was politisch entschieden ist. Wenn jetzt noch einmal eine Generaldebatte darüber anfängt, ob die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag auch richtig sind, dann wird es zeitlich sehr eng. Fast sieben Millionen Menschen sind auf staatliche Unterstützung aus der Grundsicherung angewiesen.

Abendblatt: Wie reagieren die Kommunen?

Alt: Um die bestmöglichen Ergebnisse in der Vermittlung und Betreuung von Hartz-IV-Empfängern zu erzielen, brauchen wir die Kapazitäten und Erfahrungen der Kommunen. Sie können ihre Kompetenz etwa bei Schuldner- und Drogenberatung, psychosozialen Diensten und Jugendämtern einbringen. Die Bundesagentur für Arbeit bringt die arbeitsmarktpolitische Komponente ein. Der Großteil der Kommunen möchte mit der BA zusammenarbeiten.