Prominente Künstler, Politiker, Wissenschaftler und Kirchenvertreter fordern eine Abschaffung von Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger.

Berlin. Prominente Künstler, Politiker, Wissenschaftler und Kirchenvertreter fordern eine Abschaffung von Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger. Es sei dringend notwendig, die Missstände in den Jobcentern offenzulegen, für deren Beseitigung zu sorgen und den gegenwärtigen Sanktionsparagrafen grundlegend zu überdenken, heißt es in dem gestern in Berlin vorgelegten Aufruf. Nach dem Gesetz sind bei Meldeversäumnissen und Pflichtverletzungen Kürzungen des Regelsatzes bis zu 100 Prozent möglich.

Die hohe Zahl der erfolgreichen Widersprüche (35 Prozent) und Klagen (42 Prozent) gegen Sanktionen vor Sozialgerichten im vergangenen Jahr bestätigten, dass diese Sanktionen offenbar "nicht gerichtsfest" seien, erklärte Uwe Becker, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen Lippe, in Düsseldorf. Als einer der Erstunterzeichner des Aufrufs nennt er diese Rechtsunsicherheit, die zu einer "starken Pressur" führe, für die Betroffenen unzumutbar. Das Moratorium sei ein deutlicher Aufschrei und verweise auf eine "Entrechtung von SGB-II-Beziehern". Das Kernproblem der Arbeitsmarktmisere sei nicht die mangelnde Aktivierungsbereitschaft von Hartz-IV-Empfängern, sondern die Strukturproblematik des Arbeitsmarktes und fehlender Arbeitsplätze.

Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehören unter anderen der Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der ehemalige Bundesminister Heiner Geißler (CDU), der katholische Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, der Kabarettist Dieter Hildebrandt und der Musiker Sebastian Krumbiegel. Weitere Unterzeichner sind der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, P.E.N.-Präsident Johano Strasser, der Journalist Günter Wallraff, der Maler Johannes Heisig sowie die Direktoren der Diakonischen Werke Berlin und Hessen und Nassau. Zu den Verfassern des Aufrufs zählen nach eigenen Angaben auch der Sozialhilfe-Verein Tacheles in Wuppertal und die Juristin Helga Spindler der Universität Duisburg-Essen.

Gemeinsames Ziel sei es, "die Drangsalierung von erwerbslosen und in Not geratenen Bürgerinnen und Bürgern so schnell wie möglich" zu beenden. Auf der Grundlage eines Sanktionsstopps solle in einer breiten öffentlichen Debatte über die Problematik von Strafen, die ein Leben unter dem Existenzminimum zur Folge haben, diskutiert werden. Einer parlamentarischen Anfrage der Linken zufolge waren bundesweit allein im vergangenen Jahr rund 789 000 Hartz-IV-Empfänger von Sanktionen betroffen.

Besonders hart betroffen sind die unter 25-Jährigen, denen bei dem ersten Versäumnis bereits 100 Prozent der Leistungen gekürzt werden. Den Angaben zufolge wurden im vergangenen Jahr über rund 256 000 Menschen dieser Altersgruppe Sanktionen verhängt.