Baden-Württembergs Regierungschef Günther Oettinger will die Mehrwertsteuer erhöhen. Die Partei reagiert fassungslos.

Berlin. In CDU-Kreisen schüttelte man gestern nur noch mit dem Kopf. Der müsse wohl schlecht geschlafen haben, der Oettinger. Mancher Ministerpräsident verstummte gleich vollends. Andere, wie der Wahlkämpfer Dieter Althaus in Thüringen, gingen scharf auf Distanz. Mancher soll gar gebrüllt haben. Kein Wunder - denn die Debatte, die Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger mit seinen Äußerungen in der "Süddeutschen Zeitung" angestoßen hat, kommt für die Union zur Unzeit. Drei Tage, bevor die CDU/CSU ihr groß angekündigtes Wahlprogramm mit dem Versprechen auf Steuersenkungen präsentieren will, ruft Oettinger nach einer Erhöhung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes."Eine Anpassung auf bis zur Hälfte ist denkbar", sagte er der Zeitung mit Blick auf den vollen Mehrwertsteuersatz, der seit Anfang 2007 bei 19 Prozent liegt. Der günstigere Satz, der etwa für Lebensmittel, Bücher und Blumen gilt, könne aus seiner Sicht von sieben auf 9,5 Prozent angehoben werden. Andererseits tritt Oettinger dafür ein, dass die Gastronomie statt desvollen nur noch den verminderten Steuersatz zahlen solle.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla reagierte ungehalten: "Jeder muss sich entscheiden, ob er die gemeinsame Linie des Regierungsprogramms von CDU und CSU vertreten oder seine persönliche Meinung in Zeitungsinterviews verbreiten will", griff er Oettinger an. Und bekräftigte: "Steuererhöhungen gibt es mit uns nicht." Auch Fraktionschef Volker Kauder fand klare Worte: Wer in der Union Führungsverantwortung habe, solle nicht "durch Einzelmeinungen Verwirrung stiften". Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust sagte dem Abendblatt: "Das Wahlprogramm der Union sieht steuerliche Entlastungen in der nächsten Legislaturperiode vor. Die Formulierungen dort sind eindeutig." Und bekräftigte: "Alles darüber hinaus ist unnötiges Gerede." Sein Parteifreund, Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus, der am 30. August zur Wiederwahl steht, sprach gegenüber dem Abendblatt von einer "unsinnigen und kontraproduktiven Diskussion". Sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Jürgen Rüttgers nannte den Vorstoß des Regierungschefs aus Baden-Württemberg in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schlicht "verantwortungslos". Und Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nannte den Vorstoß "einen tiefen Griff in die Mottenkiste". Dabei war das Problematische an Oettingers Vorstoß wohl die Wortwahl und vor allem der Zeitpunkt. Denn auch Guttenberg räumte ein, dass er an ermäßigte Steuersätze im Rahmen einer Strukturreform durchaus herangehen wolle. Sein Ziel sei es, die Leistungsträger zu entlasten. Insbesondere die Minderung der kalten Progression für Einkommenssteuerzahler müsse trotz der hohen Staatsschulden zu schaffen sein. Auch der Präsident der CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, äußerte sich verhalten. Er sagte dem Abendblatt: "Wir erwarten, dass das Wahlprogramm in seinem steuerpolitischen Teil genauso beschlossen wird, wie es jetzt im Entwurf vorliegt." "Nach der Wahl muss es zu einer Strukturanalyse und Strukturreform des Steuersystems kommen. Dabei darf aber auf keinen Fall herauskommen, dass das neue Motto lautet: Leistung soll sich nicht mehr lohnen." Ein scharfes Nein hört sich anders an.

FDP-Chef Guido Westerwelle forderte die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin auf, ein Machtwort zu sprechen und die Steuerdebatte "unverzüglich" zu beenden. Von der hieß es gestern nur aus der Unionsfraktion: "Merkel tobt." Das Machtwort dürfte am Sonntag auf der CDU-Präsidiumssitzung folgen.