Auf der Fachtagung “Krass gegen Rechts - Zivilcourage macht Schule“ sammeln Experten und Schüler Argumente gegen rassistische Parolen.

Berlin/Hamburg. Zum Warmwerden ein Spielchen. Der Moderator schickt die 60 Berufsschülerinnen und -schüler in die Mitte des Konferenzraumes. Rechts klebt ein Plakat, "Nein" steht dort in großen Buchstaben, links eines mit "Ja". Der Moderator stellt Fragen, die heiklen zuletzt: "Kennt ihr Menschen in der Familie, der Schule oder im Beruf, die rechtsextreme Meinungen vertreten?" Fast 20 der Schüler gehen nach links. Zum "Ja".

Welche Argumente gibt es gegen rassistische Stammtischparolen? Wo hat Zivilcourage Grenzen? Und wie treten Neonazis in der Öffentlichkeit auf? Vor allem darum ging es gestern auf der Fachtagung "Krass gegen Rechts - Zivilcourage macht Schule", die vom Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus in Hamburg und der Sozialbehörde organisiert wurde. Die Strategie der Neonazis habe sich gewandelt, sagt Andrea Krieger vom "Hamburger Bündnis gegen Rechts". Es seien nicht mehr die Schläger mit Glatze und Baseball-Keule. Die rechte Szene versuche auch in Betrieben, Schulen und Parlamenten Fuß zu fassen. Durch die Berichterstattung über die mutmaßlich rassistischen Morde des Zwickauer Neonazi-Trios bekam die schon im Sommer geplante Konferenz in den Seminarräumen des "Dialogs im Dunkeln" in der Speicherstadt neue Brisanz.

Jörn Menge von der Initiative "Laut gegen Nazis" mahnt jedoch: "Der sogenannte Terror der Zwickauer Gruppe fußt auf einer international vernetzten rechtsextremen Szene." Und die dürfe nicht als Ideologie einzelner fehlgeleiteter Jugendlicher verstanden werden. "In den Familien und im Freundeskreis der Rechten liefert ein latenter Rassismus den Boden für die organisierte Szene", sagt Menge. Er und sein Team arbeiten derzeit an der Kampagne "Hamburg steht auf!". Während der "Internationalen Wochen gegen Rassismus" im März plant das Bündnis Vorträge, Konzerte und Kundgebungen in Hamburg. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) ist Schirmherr.

In Hamburg engagierten sich bereits viele Menschen gegen rechts, bilanziert ein Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus. Die Zahl der Neonazis sei vor allem aus diesem Grund in den vergangenen Jahren nicht gestiegen. "Aber wenn man den Rechten Raum lässt, werden sie mehr", warnt der Mitarbeiter, der aus Sicherheitsgründen seinen Namen nicht nennen möchte. Der Raum für Ideologie spielt für Rechtsextremisten fast eine größere Rolle als der "Raum der Straße". Gegen deren Parolen sammelten die Jugendlichen gestern in Rollenspielen mit Experten Argumente.

Die sammeln derzeit auch die Politiker in Berlin - für oder gegen ein NPD-Verbot. Vor der morgen beginnenden Innenministerkonferenz in Wiesbaden hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) seine Forderung eines Verbots unterstrichen. "Seriös" und "mit viel Energie" solle der Staat den Antrag auf ein Verfahren vorbereiten. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) dagegen warnte bei der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden vor einem vorschnellen Verbotsverfahren. "Schnellschüsse und voreiligen Aktionismus" werde es mit ihm nicht geben, betonte er.

Auch die Hamburger Bundestagsabgeordnete und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Aydan Özoguz warnte vor zu schnellem Handeln: "Wenn wir das Verbotsverfahren einleiten, dann muss sicher sein, dass es Aussicht auf Erfolg hat", sagte sie dem Abendblatt. Es dürfe auf keinen Fall so enden wie 2003 - damals scheiterte ein Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der Vielzahl von V-Leuten des Verfassungsschutzes in der Partei. Zudem dürfe das NPD-Verbot "nicht die notwendige Aufklärung der Mordserie der Zwickauer Terrorzelle überlagern", sagte Özoguz. "Wir dürfen uns nicht nur aufs NPD-Verbot stürzen. Wir müssen detailgetreu alle behördlichen Fehlleistungen aufklären und die fehlerhaften Strukturen bei Polizei und Verfassungsschutz beheben." Das stehe im Vordergrund. Vermutlich hätten zu viele geglaubt, den Rechtsextremismus im Griff zu haben. "In Wahrheit konnten die Neonazis nach Belieben agieren."

Der Bremer NPD-Funktionär Matthias Faust ist vorerst daran gehindert. Die Staatsanwaltschaft hat gegen ihn Anklage wegen Volksverhetzung erhoben. Sie wirft dem Mitglied des Bundesvorstandes der rechtsextremen Partei vor, als Spitzenkandidat bei der Bremer Bürgerschaftswahl 2011 für das ausländerfeindliche Online-Spiel "Faust räumt auf" verantwortlich gewesen zu sein. Zwei weitere NPD-Funktionäre seien ebenfalls wegen Volksverhetzung und zudem wegen Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz angeklagt.

Im Fall der Zwickauer Terrorzelle habe die in der vergangenen Woche gestartete öffentliche Fahndung bereits 200 Hinweise erbracht, die nun überprüft werden, sagte der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, auf der Herbsttagung in Wiesbaden. Es gebe "noch zu prüfende Spuren ins Ausland".