Rechtsextremist Wohlleben half laut Ermittlern der Zwickauer Zelle. Hamburger Polizei überprüft alte Fälle auf rechtsradikale Bezüge.

Jena/Berlin. Das "Fest der Völker", so hieß der Propagandafilm von Adolf Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Und "Fest der Völker" nannte sich auch das Rechtsrock-Festival, das von 2005 bis 2009 im thüringischen Jena stattgefunden hat. Extrem rechte und neonazistische Bands traten dort auf: Legion of Thor, Block 11, Brigade M. Organisator dieser Veranstaltung: Ralf Wohlleben.

Wohlleben ist bekannter Rechtsextremist , mehrfach tauchte er in Berichten des Thüringer Verfassungsschutzes auf, machte Karriere im Landesvorsitz der NPD. Gestern, im Morgengrauen gegen 7 Uhr, schlug eine Spezialeinheit des Landeskriminalamts zu, stürmte die Wohnung Wohllebens im Burgweg in Jena und brachte ihn in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft hält Wohlleben für dringend verdächtig, Beihilfe zu sechs Morden und einem versuchten Mord der Zwickauer Neonazi-Zelle des selbsternannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) geleistet zu haben. Ermittler halten Wohlleben für einen eingeweihten Mitwisser der Terrorzelle. Wohlleben sei zudem dringend verdächtig, dem NSU 2001 oder 2002 eine Schusswaffe samt Munition verschafft zu haben.

+++Kommentar: Verbote helfen nicht+++

+++Neonazis töteten seit 1990 bis zu 182 Menschen+++

Der 36 Jahre alte Informatiker soll einer der führenden Köpfe des Thüringer Heimatschutzes gewesen sein - dem Netzwerk gehörten auch die 1998 abgetauchten NSU-Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos an. Auf Bildern aus den 1990er-Jahren ist Wohlleben mit Mundlos und Bönhardt zu sehen.

Zeitweise war Wohlleben stellvertretender NPD-Landeschef in Thüringen. Er war auch Herausgeber der NPD-Postille "Thüringenstimme", nach Angaben der Partei trat er vor gut einem Jahr aus der NPD aus.

Bereits am vergangenen Donnerstag hatten Beamte Wohllebens Wohnung durchsucht, festgenommen wurde niemand. Zumindest nicht in seiner Wohnung. Dennoch hatten die Ermittler an diesem Tag zugeschlagen - und verhafteten Andre E. Der 32-Jährige aus Sachsen soll das menschenverachtende Propagandavideo hergestellt haben, in dem sich die NSU zu neun Morden an ausländischen Kleinunternehmern und den Mordanschlägen auf zwei Polizisten in Heilbronn bekennt.

Als Konsequenz aus der jahrelang unentdeckt gebliebenen Mordserie will Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) möglichst schnell einen Gesetzentwurf zu einer umfassenden Datei zu gewaltbereiten Rechtsextremisten vorlegen. Regierungskreise bestätigten gestern einen entsprechenden Bericht der "Süddeutschen Zeitung". Friedrichs Verbunddatei gehört zu dem Zehn-Punkte-Plan, den das Bundesinnenministerium nach Bekanntwerden der Zwickauer Neonazi-Zelle vorgelegt hatte. Im Gespräch ist unter anderem, Bankverbindungen, Telefonverbindungen und Kontaktleute von gewaltbereiten Rechtsextremisten zentral zu speichern. Das Bundesjustizministerium reagiert bislang zurückhaltend auf die Pläne.

In Hamburg nehmen zwei im November eingerichtete Sonderkommissionen alte Fälle, die einen rechtsradikalen Hintergrund haben könnten, und den Mord an dem türkischen Gemüsehändler Süleyman Tasköprü in Bahrenfeld 2001 erneut unter die Lupe. Tasköprü war eines der mutmaßlichen Opfer der rechten Terrorzelle. Die Sonderkommission (Soko) "061 Netz", die im März 2006 ins Leben gerufen worden war und sich im Juni 2008 aufgelöst hatte, war damals mit dem Fall beschäftigt. "Die Soko ist mehr als 500 Spuren nachgegangen, hat mehr als 400 Vernehmungen durchgeführt und rund 2500 Kontaktpersonen des Opfers überprüft", sagt Polizeipressesprecher Mirko Streiber. "Auch der Hypothese, dass es einen rechtsradikalen Hintergrund geben könnte, wurde nachgegangen", sagt Streiber. Aber darauf habe es damals keine Hinweise gegeben.

+++Gabriel will mehr Polizei gegen die "braunen Horden"+++

Nun wurde die Soko "061 Netz" reaktiviert: Fünf Beamte, darunter auch Ermittler aus der alten Soko-Besetzung, arbeiten den Fall neu auf. Beispielsweise werden Täterbeschreibungen von damals mit Personen der rechten Terrorzelle aus Zwickau abgeglichen. Parallel rollen rund 15 Mitarbeiter der Soko "Fokus" seit Mitte November ungeklärte Straftaten seit 1995 auf. Sie untersuchen 31 Tötungsdelikte, 74 Banküberfälle und sechs Sprengstoffanschläge auf einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund und auf einen Bezug zum Zwickauer Trio. "Beispielsweise werden die Vorgehensweisen bei Banküberfällen, offene DNA-Spuren und weiteres altes Spurenmaterial abgeglichen", sagt Streiber.

Zudem suchen die Mitglieder der Soko "Fokus" derzeit die Personen und Institutionen aus Hamburg auf, deren Namen und Adressen die Zwickauer Terrorzelle auf einer Liste im Computer gespeichert hatte. Dabei handelt es sich um rund 170 Menschen und Institutionen, darunter auch die Bundestagsabgeordneten Jürgen Klimke (CDU) und Johannes Kahrs (SPD) sowie religiöse und ausländische Vereine. Polizeipressesprecher Mirko Streiber sagt: "Wir sehen jedoch keine Gefährdungslage für die Personen und Institutionen, die auf der Liste stehen."