Jetzt sollen die Bürger bei der Aufklärung helfen. Bislang gibt es erst 250 Hinweise auf Unterstützer und Mitwisser des Neonazi-Trios.

Hamburg/Berlin. Es gibt Bilder in der deutschen Nachkriegsgeschichte, die sich in das kollektive Bewusstsein eingebrannt haben. Das Foto des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer gehört dazu oder das der gekaperten Lufthansa-Maschine in Mogadischu. Auch das Fahndungsplakat der RAF-Terroristen ist eines dieser Dokumente, der rote Rahmen, die schwarz-weißen Bilder von Ulrike Meinhof und Andreas Baader, "Anarchistische Gewalttäter" steht auf dem Plakat, unten: Bundeskriminalamt, Abteilung Sicherungsgruppe.

Anfang der 70er-Jahre war das. Seit gestern hat Deutschland wieder ein Fahndungsplakat, das sich in die Geschichte des Landes einschreiben könnte. Generalbundesanwalt Harald Range und der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, stellten es in Karlsruhe vor. Wieder hat der Steckbrief einen grellen roten Rahmen, er zeigt Fotos von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aus den Jahren 2007 bis 2011. "Das Bundeskriminalamt bittet um Ihre Mithilfe" steht über den Aufnahmen.

Von den Fahndungsplakaten erhoffen sich die über 400 Ermittler und zehn Staatsanwälte Aufschlüsse über Hintermänner und Unterstützer der Neonazi-Terrorgruppe des selbst ernannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Bislang seien erst knapp 250 Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen, sagte Ziercke. Den Ermittlern sei es noch nicht gelungen, die Stationen der Terroristen lückenlos nachzuvollziehen. Ziercke hofft, dass sich Zeugen melden, die Informationen über Wohnungen oder mögliche Arbeitsstellen der Verdächtigen beitragen können. Aber auch Begegnungen auf Park- oder Campingplätzen könnten Aufschluss geben.

Ein Foto von Ralf Wohlleben ist nicht auf dem Fahndungsplakat des BKA zu sehen. Der ehemalige hochrangige NPD-Funktionär wurde am Dienstag in Jena festgenommen. Wohlleben gilt als möglicher Helfer bei der rassistischen Mordserie des NSU. Und Generalbundesanwalt Range rechnet nun mit weiteren Belegen für die Nähe der Zwickauer Terrorzelle zu der rechtsextremen Partei.

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Die Politik wartet gespannt auf die weiteren Ergebnisse. Von ihnen wird entscheidend abhängen, ob und in welcher Form ein neues NPD-Verbotsverfahren eröffnet werden kann. Für den parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU), ist bereits die Rolle des festgenommenen Wohlleben ein entscheidendes Kriterium für den möglichen Erfolg eines Verbotsverfahrens. "Die Ermittler müssen jetzt genau analysieren, ob Ralf Wohlleben im Auftrag der NPD oder mit Wissen der Partei in die Machenschaften der Zwickauer Terrorzelle verwickelt war. War es die Tat einer Partei oder die Straftat eines Einzelnen - diese Frage wird in der Debatte um ein NPD-Verbotsverfahren mit entscheidend sein", sagte Schröder dem Hamburger Abendblatt.

Zur Prüfung der Chancen eines neuen NPD-Verbotsantrags nahm gestern eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe in Magdeburg ihre Tätigkeit auf. Sollte die Politik schlussendlich einen Verbotsantrag stellen, verlangen vor allem die Grünen ein sofortiges Ende der Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit V-Leuten aus der NPD. Schröder warnte gestern vor diesem Schritt: "Es ist problematisch, die V-Leute aus der NPD abzuziehen, denn sie liefern den Sicherheitsbehörden wichtige Informationen über die rechtsextreme Szene."

Generalbundesanwalt Range wies erneut Spekulationen zurück, der Verfassungsschutz habe Kontakte zur Terrorzelle unterhalten. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte. Keine Angaben wollte er dazu machen, ob die Hauptverdächtige Zschäpe sowie die drei ebenfalls in Untersuchungshaft sitzenden mutmaßlichen Unterstützer bereits ausgesagt haben. Die Frage nach einer Anwendung der Kronzeugenregelung für Zschäpe stelle sich derzeit nicht.

Die entscheidenden Spuren ergeben sich in der Mordserie nach Angaben von BKA-Chef Ziercke bislang hauptsächlich aus der Auswertung von rund 2500 Beweisstücken, die vor allem in der ausgebrannten Zwickauer Wohnung der Terrorzelle gefunden wurden. Ziercke nannte dies gestern "einen glücklichen Umstand." So sei es gelungen, 56 Fahrzeuganmietungen nachzuvollziehen, davon etwa ein Drittel Wohnmobile. Etliche Mietzeiträume passten mit Tatzeitpunkten zusammen.

Am 4. November hatte Mundlos seinen Komplizen Böhnhardt in einem Wohnmobil im thüringischen Eisenach mit einem aufgesetzten Kopfschuss getötet, danach das Fahrzeug angezündet und sich dann selbst erschossen. Dem Bundeskriminalamt seien bereits einige Fotos und Videos von Menschen zugeschickt worden, die sich mit den Verdächtigen bei Urlauben angefreundet hätten. Diese Bilder werden zum Teil auch für die Fahndung verwendet. Es gebe Tausende Altfälle mit möglichem rechtsextremistischen Hintergrund, die neu überprüft werden, so Ziercke.

Die Gedenkveranstaltung für die Opfer des Neonazi-Terrors soll am 23. Februar nächsten Jahres stattfinden. Dies teilte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nach Angaben von Teilnehmern am Donnerstag im Ältestenrat des Bundestags mit. Auch diese Bilder könnten sich dann ins Gedächtnis dieses Landes einbrennen.