Im Norden wächst der Widerstand gegen CO2-Speicherung. Trotzdem will die Regierung dazu ein Gesetz auf den Weg bringen.

Hamburg. Die Bundesregierung hat schon wieder ein Endlager-Problem. Doch dieses Mal handelt es sich nicht um radioaktiven Müll, eingeschweißt in Fässern oder eingeschlossen in schwere Castor-Behälter. Der Stoff, aus dem die Sorgen sind, ist dieses Mal gasförmig, geruchlos und unsichtbar: Kohlendioxid, auch unter dem Kürzel CO2 bekannt. 375 Millionen Tonnen davon entweichen jedes Jahr allein aus Schornsteinen deutscher Kraftwerke und Industriebetriebe. Doch weil CO2 als Treibhausgas Nummer eins gilt, arbeiten Forscher daran, die flüchtige Substanz aus den Abgasen herauszufiltern und für Tausende von Jahren unter der Erde zu speichern.

+++Ex-Umweltsenator: Die Energiewende droht zu scheitern+++

Vor allem norddeutsche Bürgerinitiativen schlagen nun Alarm. In einem offenen Brief warnen sie die Abgeordneten davor, einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zuzustimmen, mit dem die Abscheidung und die dauerhafte Speicherung von Kohlendioxid, das sogenannte CCS-Verfahren, erlaubt werden soll. Bislang fehlte den Energiekonzernen, die sich diese Technologie zunutze machen wollen, diese rechtliche Grundlage. Damit soll nun Schluss sein, die Abstimmung ist für heute Nachmittag angesetzt. Nach einer Probeabstimmung im federführenden Umweltausschuss gestern deutet alles darauf hin, dass das Gesetz das Parlament passieren wird.

Doch glaubt man Kritikern, hat auch CCS seine ganz spezifischen Restrisiken. Eine Hochrisiko-Technologie drohe da Norddeutschland, warnt gar Reinhard Knof, Sprecher der Bürgerinitiative gegen das CO2-Endlager. Rund 3000 bis 4000 Technologie-Skeptiker haben sich in dem Verein überregional zusammengeschlossen. Ihr Symbol: ein Gesicht hinter einer schwarzen Gasmaske auf grellgelbem Grund. Es ist die Sorge vor gleich mehreren umweltpolitischen Katastrophen, die sie alle antreibt. Knof, selbst promovierter Chemiker, zählt die Risiken der Speicherung auf: "Es besteht die Gefahr, dass bei der Abscheidung oder beim Transport CO2 entweicht. Vor allem aber könnte das Gas salziges Mineralwasser im Erdreich nach oben drücken und das Grundwasser versalzen." Auch bestehe noch kein geeignetes Verfahren, um Leckagen beim Transport oder bei der Einlagerung festzustellen. CO2 selbst ist nicht giftig, kann aber in größerer Konzentration in der Luft tödlich sein, wenn es den lebensnotwendigen Sauerstoff verdrängt.

Norddeutschland gilt als besonders geeignet für die Lagerung, weil die Region als Sedimentbecken über die geeigneten Gesteinsschichten verfügt. Auf einer Karte der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe finden sich auch mehrere mögliche Standorte in der direkten Nähe Hamburgs. Vor zweieinhalb Jahren bereits hatte der Energiekonzern RWE ein Speicherprojekt in Nordfriesland in Angriff genommen, das Projekt scheiterte jedoch am massiven öffentlichen Widerstand.

Zusammen mit seinem niedersächsischen Amtskollegen David McAllister setzte sich der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (beide CDU) daraufhin dafür ein, dass die Länder selbst darüber bestimmen können, ob bei ihnen CO2 in den Boden gepresst werden darf. Offenbar haben sich beide mit dieser Haltung bei der Bundesregierung und der restlichen CDU durchgesetzt. Der schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete Ingbert Liebing sagte gestern dem Abendblatt: "Alle Versuche, die Länderklausel zu kippen, konnten abgewehrt werden." Damit sei sichergestellt, dass es keine Speicher im nördlichsten Bundesland geben werde. Das Thema sei "durch".

Die Nord-CDU gerät damit in die paradoxe Lage, einem Gesetz zuzustimmen, das sie selbst nicht anwenden will. Die Speicherung stehe anderen Ländern aber weiterhin offen, argumentiert Liebing. Vor allem Brandenburg ist daran interessiert, Standort für Speicher zu werden.

Wie es nach dem Votum des Bundestags weitergehen wird, darüber gehen die Meinungen auseinander. Aktivist Reinhard Knof fürchtet, dass die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf den Energiekonzernen ein Schlupfloch geschaffen haben könnte. Denn nach bisherigem Stand müssen die Bundesländer genau begründen, warum sie ein CO2-Lager in einem bestimmten Gebiet nicht wünschen. "Damit ist den Klagen der Konzerne Tür und Tor geöffnet", sagt Knof. Das glaubt auch der Grünen-Abgeordnete Oliver Krischer. Entgegen den offiziellen Ankündigungen von Carstensen und Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) gebe es kein klares Ausschlussgebot für komplette Bundesländer. Liebing zufolge könne aber ein Landesgesetz später Klarheit schaffen.

Der RWE-Manager und frühere Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt glaubt, dass der politische Widerstand das Aus für die Speicherung in Deutschland bedeutet. Vor allem nach dem Ausstieg aus der Atomkraft sei man angewiesen auf den Strom aus der Kohle, sagte er dem Abendblatt.

"Wenn wir bis 2050 85 Prozent unserer CO2-Emissionen reduzieren müssen, dann geht das nicht ohne die Abscheidung von Kohlendioxid", sagt Stephan Kohler, Geschäftsführer der deutschen Energie-Agentur (Dena). Er schlug ein Forschungsprogramm vor, bei dem die Wiederverwertung von CO2 in der Industrie geprüft werden solle. Das CCS-Verfahren werde zu Unrecht kritisiert: "Es findet schon viel Hetze gegen die Technologie statt." Dabei habe sie das Zeug zum Exportschlager.

Auch Michael Kühn vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam ist sich sicher: "Wir brauchen CO2-Speicher unter anderem als Übergangslösung." Selbst wenn Deutschland seine Energie zu 100 Prozent regenerativ erzeuge, würden Branchen wie Stahl und Zement weiterhin Emissionen verursachen. An einem Testspeicher habe man gezeigt, dass man CO2 sicher speichern könne. "Jetzt brauchen wir große Demonstrationsprojekte, und dazu brauchen wir auch das CCS-Gesetz der Bundesregierung."