Das Abendblatt analysiert, wer die Gewinner und wer die Verlierer der von der Bundesregierung beschlossenen Energiewende sind.

Berlin/Hamburg. Atomausstieg bis 2022, massiver Ökostrom-Ausbau und mehr Geld für Hausbesitzer zum Energiesparen: Die Bundesregierung hat ihre Energiewende auf den Weg gebracht. Das Kabinett beschloss dazu gestern in einer Sondersitzung ein umfangreiches Gesetzespaket. "Das ist ein gesellschaftliches Pionierprojekt und ein Meilenstein", sagte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU).

Norddeutschland stehen damit große Umwälzungen bevor. Nicht alle Branchen und Gesellschaftsgruppen werden gleichermaßen von den neuen Regelungen profitieren. Das Abendblatt gibt einen Überblick über die Gewinner und die Verlierer der Energiewende.

Aufschwung

Der Konjunktur geht es gut: Es gibt weniger Arbeitslose, Exporte ziehen an. Jetzt geht die Angst um, dass steigende Energiepreise der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen schaden könnten. Der Chef des Industrieverbandes BDI, Hans-Peter Keitel, warnt, dass die Industrie zwei Drittel des Wachstums ausmache, dabei aber auch größter Stromverbraucher sei. Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht dagegen mehr Chancen als Risiken durch die Energiewende. Von den geplanten Milliardeninvestitionen könnten Mittelständler und Konzerne profitieren. Die Aktienkurse für Windanlagenbauer wie Nordex aus Hamburg sind bereits gestiegen.

Atomkonzerne

E.on, EnBW, RWE und Vattenfall sind die großen Verlierer der Energiewende: Den Betreibern der deutschen Kernkraftwerke bringt jeder einzelne Reaktor rund eine Million Euro Gewinn - pro Tag. In Norddeutschland kommen die Unternehmen relativ glimpflich davon: Brunsbüttel und der Pannenmeiler Krümmel, die wegen des Atom-Moratoriums vom Netz genommen wurden, liefern bereits seit Jahren keinen Strom mehr. Brokdorf, das dritte Atomkraftwerk in Schleswig-Holstein, wird erst 2021 abgeschaltet werden. Trotz der Ausstiegspläne hält die Regierung weiterhin an der Brennelementesteuer fest: Die Konzerne könnte das rund 1,3 Milliarden Euro im Jahr kosten.

Energieverbraucher

Die Kosten des Atomausstiegs werden Stromkunden auch an ihrer Energierechnung mitverfolgen können. Schätzungen zufolge könnte der Strompreis um einen halben Cent bis zu drei Cent pro Kilowattstunde steigen - die kostet im Moment etwa 25 Cent. Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung könnte das für einen vierköpfigen Haushalt bis 2020 Mehrkosten von 200 bis 240 Euro pro Jahr bedeuten. Da die Anbieter ihre Stromkontingente weit im Voraus kaufen, dürften sich die Preise erst in einigen Jahren erhöhen. Industriebetriebe wie der Kupferkonzern Aurubis haben sich mit langfristigen Verträgen gegen solche Schwankungen abgesichert.

Klimaschutz

Für die Umwelt bringt der Atomausstieg das Ende der gefährlichsten Technologie aller Zeiten, aber auch Probleme. Ohne die 17 Meiler fehlen dem deutschen Stromnetz 20,5 Gigawatt gesicherte Leistung. Deshalb will Berlin den Bau weiterer Kohle- und Gaskraftwerke vorantreiben, doch die emittieren mehr CO2. Hoffnung setzen Experten auf die relativ emissionsarme Kraft-Wärme-Kopplung. Auch der geplante Ausbau der erneuerbaren Energien hat Schattenseiten: Der Bau von Windparks macht den Bau neuer Hochspannungsleitungen quer durchs Land notwendig, die Biogas-Produktion kann Monokulturen fördern, Windräder werden von Anwohnern als störend empfunden.

Gas- und Kohlekraft

Um fehlenden Strom durch das Aus der Atommeiler zu kompensieren, müssen neue Kohle- und Gaskraftwerke gebaut werden. Vor allem Letztere dürften oftmals den Vorzug erhalten - immerhin belasten sie die Luft deutlich weniger mit Kohlendioxid. Auch die Gasförderländer dürfen sich auf steigende Einnahmen einstellen - allen voran Russland, das den deutschen Gasbedarf zu 32 Prozent deckt. Gerade für Norddeutschland könnte der Ausstiegsbeschluss jedoch den verstärkten Bau von Kohlekraftwerken bedeuten, denn in den Häfen kann Importkohle schnell angelandet werden. Planungen gibt es derzeit für zwei Kraftwerke in Stade und für eines in Brunsbüttel.

Staatshaushalt

Für die Sparbemühungen von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bedeutet die Energiewende einen Rückschlag. Selbst wenn die Bundesregierung drohende Schadenersatzklagen und Kompensationsforderungen der Atomkonzerne erfolgreich abwehren sollte, entgehen Schäuble für die bereits abgeschalteten älteren Meiler mehrere Hundert Millionen Euro Brennelementesteuer. Zudem muss Schäuble nun auch Geld bereitstellen, mit dem Gebäudesanierungen bezuschusst werden sollen; energieintensive Branchen sollen Strompreiskompensationen erhalten. Kommunen mit AKW müssen sich auf wegbrechende Gewerbesteuern einstellen - in Brokdorf geht es um bis zu 19 Millionen Euro im Jahr.

Hausbesitzer

Im Norden wie im Süden gilt: Wer sein Haus energiesparend saniert, wird von der Bundesregierung belohnt. Das zuletzt auf 500 Millionen Euro zusammengestauchte Förderprogramm, das zinsgünstige Kredite für die Sanierung bereitstellt, soll 2012 auf 1,5 Milliarden Euro aufgestockt werden. Ab 2013 werden zudem etwa zehn Prozent der Sanierungskosten von der Steuer absetzbar sein. Eigentümer dürfen auch ihre Mieter belasten: Bis zu elf Prozent der Ausgaben, die für die energiesparende Umrüstung fällig werden, können über die Erhöhung der Jahresmiete weitergegeben werden. Derzeit werden rund 40 Prozent der deutschen Energie in Gebäuden verbraucht - vor allem durchs Heizen.

Ökoenergien

Einen kräftigen Wachstumsschub wird die Windkraft bekommen - und zwar jene, die von den sogenannten Offshore-Anlagen in Nord- und Ostsee generiert wird. Hier ist die Energiegewinnung besonders effizient, der Ausbau steckt jedoch in den Kinderschuhen. Die Subventionen werden deshalb von zwei auf 15 Cent pro Kilowattstunde erhöht - garantiert für zwölf Jahre. Die Bundesregierung will jedoch auch, dass die Ökoenergien schneller marktfähig werden, und fährt die Zahlungen in anderen Bereichen zurück: Die Vergütungen für Solarstrom sollen um bis zu 24 Prozent sinken. Für Windstrom an Land soll es 1,5 Prozent weniger geben. Am Mix der Erneuerbaren hat die Windkraft derzeit den größten Anteil.