Christian Wulff schafft es, bei seinem Staatsbesuch in Israel durch seine zurückhaltende Art diplomatische Tretminen zu umgehen.

Jerusalem. Die Mädchen kichern. Sie finden, er sehe gar nicht schlecht aus, dieser Politiker aus Deutschland. Der Bundespräsident sitzt in einem Zelt in Jerusalem, um die Eltern des verschleppten Soldaten Gilad Schalit bei ihrer Mahnwache zu unterstützen. Kurz steht er auf, sagt mit väterlicher Miene zu den Mädchen: "Bitte, geht das auch etwas leiser?"

Christian Wulff ist einer, der Kontakt nicht scheut, doch laute Töne meidet. Nach seiner viel beachteten Reise in die Türkei hat der Staatschef auf seiner viertägigen Reise nach Israel wieder außenpolitische Schritte gewagt. Eine Probe, die er ohne hohe Erwartungen bestehen will. "Ich bin auch gekommen, um zu lernen und zuzuhören", sagte Wulff dem Abendblatt. "Es gibt eine Begrenztheit der Handlungsmöglichkeiten für mich."

Ein Staatsoberhaupt, das sich vorbehält, wie ein Schüler durch die Welt zu gehen. Das klingt nicht so, als werde Nahost-Politik das Markenzeichen des bisher eher farblosen Politikers. Dennoch ist es ehrlich. Wulff zeigt diplomatisches Talent. Er kann Verständnis für zwei Seiten zeigen, ohne sich wirklich angreifbar zu machen.

Sein Scheitel sitzt, als Wulff durch die Altstadt in Bethlehem läuft. Der Geburtsort Jesu ist einer der freundlicheren Teile der palästinensischen Gebiete. Bei Wulffs Besuch ist es aufgeräumt wie in der deutschen Provinz. Noch stehen Besen in Häusereingängen.

"Es ist schön, dass viele Menschen hier Freunde von Deutschland sind", sagt Wulff. Ihm begegnet ein bärtiger Ladenbesitzer, der ihm einen grün-weiß-roten Schal um den Hals legt: die Farben Palästinas. Wulff lässt das geschehen, drei Sekunden, bis er den politischen Stoff wieder ablegt. Langsam, mit staatsmännischer Miene.

Wulff redet und bewegt sich immer im gleichen Tempo. Egal, wen er trifft.

Er hätte wohl gerne über das schöne Wetter geredet, als er vor der Geburtskirche auf eine deutsche Besuchergruppe stößt. Aber gerade herrscht Dürre im Land, da kann sich der gelernte Landesvater schnell anpassen. "Wenn Sie gleich beten", sagt der Präsident, "dann beziehen Sie in Ihr Gebet mit ein, dass es hier regnen muss." Die Besucher nicken, blinzeln in die Sonne, als könne Wulff persönlich es regnen lassen. Dann blitzt sein Humor auf, was selten, aber stets mit seinem Politikerlächeln garniert ist. "Ich weiß ja, man soll eigentlich nicht so präzise beten."

Akzente hat Wulff nicht gesetzt in der Nahost-Politik. Er hat das besondere Verhältnis zu Israel betont, auch die Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung wiederholt. Diplomatisch gibt es diesen palästinensischen Staat längst: Wulff ließ sich von Präsident Mahmud Abbas empfangen, mit militärischen Ehren. Eine Kapelle spielte die deutsche Hymne, wenn auch schleppend, schief und traurig. Umgekehrt kritisierte Wulff gegenüber Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu die Siedlungspolitik und die Lage der Menschen im abgeriegelten Gaza.

In konkreten Fragen aber verweist der Präsident auf die "hohe Komplexität", mit der man das Friedensziel "nicht beschweren" solle. So umgeht man diplomatische Tretminen.

Wulff erzählt gerne, dass er als Vorsitzender der Schülerunion in Braunschweig eine Demonstration organisiert hat, nachdem eine Synagoge geschändet worden war. Diese Zivilcourage sei vor 33 Jahren in Deutschland "nicht selbstverständlich" gewesen, sagte er dem Massenblatt "Jedioth Achnorot", das ein schmeichelhaftes Porträt von ihm veröffentlichte. Erregung über seine Äußerung, der "Islam gehört zu Deutschland", war in Israel nicht zu spüren.

Wulff sagt nämlich oft Sachen, die selbstverständlich sind. "Ich bin ein Bundespräsident, der die Dinge differenziert betrachtet. Pauschalen Urteilen widerspreche ich." Die Bürger verschiedener Kulturen müssten sich begegnen und respektieren lernen.

Dennoch, der neue Präsident muss sich messen lassen an seinen Vorgängern. So ist in diplomatischen Kreisen noch der Name Rau zu hören, der auf Israel-Reisen zufällig alte Freunde getroffen und spontan das Protokoll verändert habe. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, sieht Erwartungen durch Wulff geweckt, die erst bestätigt werden müssten. "Das geht nicht nur mit offiziellen Besuchen, sondern über private Reisen und Kontakte", sagte Robbe, der SPD-Mitglied ist.

Nun soll ein Bundespräsident nicht Tagespolitik machen, sondern Zeichen setzen. Wulffs Idee, seine Tochter und eine Delegation junger Leute mitzunehmen, hat gewirkt als Signal für eine neue Generation, Freundschaften in Israel zu schließen. Die 17-jährige Annalena Wulff begleitete ihn. Mit randloser Brille, ganz wie der Vater.

Glamour erlangte Wulff nur durch seine Frau Bettina, die 37-Jährige heiratete er vor zwei Jahren. Mit ihr hat er einen Sohn, sie selbst hat auch einen Sohn in die Ehe gebracht. Bettina ist auf dieser Reise nicht dabei. "Meine Frau ist nicht mitgekommen, weil sie diesmal zu Hause für unsere kleineren Kinder da sein muss. Sie haben einen Anspruch darauf." Er sagt das wie ein Mensch, der zufrieden ist mit seinem Leben. Vielleicht muss er deshalb der Öffentlichkeit nicht so viel beweisen.