Die Eltern des entführten Soldaten Gilad Schalit sind verzweifelt. Der Vater campiert vor dem Amtssitz von Ministerpräsident Netanjahu.

Jerusalem/Gaza. Das Gesicht erzählt alles. Es ist eine Geschichte über Ohnmacht und Wut, Verzweiflung und Hoffnung. Und über Erschöpfung. Noam Schalit gähnt und seufzt ständig. Der 57-Jährige sitzt auf einem Plastikstuhl in einem weißen Protestzelt. Das ist sein Zuhause geworden. Das Zelt steht direkt vor der Residenz von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in Jerusalem. Schalit trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Gilad ist noch am Leben“. Gilad ist sein Sohn. Der heute 24-Jährige diente in der Armee, als er am 25. Juni 2006 von militanten Palästinensern in den Gazastreifen verschleppt wurde. Seit Anfang Oktober 2009 gibt es kein Lebenszeichen. „Wir haben keine Wahl. Wenn wir unseren Kampf aufgeben, dann werden wir niemals erleben, dass Gilad lebendig nach Hause kommt“, sagt Vater Schalit.

Die Schalits haben alles versucht , um ihre Regierung zu einem Gefangenenaustausch mit der im Gazastreifen herrschenden Hamas zu bewegen. Sie organisierten beispielsweise einen Protestmarsch quer durch Israel. 63 Prozent der Israelis würden laut Umfrage die Bedingungen der Hamas für einen Gefangenenaustausch akzeptieren. Nur geholfen hat das bislang nicht.

Die verfahrene Lage lässt sich so beschreiben: Das am weitesten reichende Angebot Israels liegt unterhalb der Minimalforderung der Hamas. Die verlangt seit Jahren, dass Israel im Gegenzug für die Freilassung Schalits 1000 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlässt. Darunter sind auch Männer und Frauen, die in Israel wegen der Beteiligung an Terroranschlägen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind.

Die Regierung in Jerusalem will nach israelischen Medienberichten aber mehrere Dutzend palästinensische Langzeithäftlinge entweder überhaupt nicht freilassen oder in ein Drittland abschieben. Deshalb schaltet auch die Hamas auf stur: „Wir sagen, dass seine (Schalits) Freilassung unmöglich ist, bis unsere rechtmäßigen Forderungen erfüllt worden sind“, sagt der ranghohe Hamas-Führer Ismail Radwan.

Seit fünf Jahren sitzt Schalit unter Bedingungen, die niemand außer seine Entführer kennen, in Gefangenschaft. Die Hamas verweigert selbst Vertretern des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) den Zugang. Das verstößt zwar gegen das humanitäre Völkerrecht, aber das schert die radikalislamische Hamas nicht. Sie befürchtet, dass Israel mit Hilfe der IKRK-Mitarbeiter den Aufenthaltsort Schalits ermitteln und ihn dann befreien könnte.

Für die Hamas-Führer ist Schalit nicht nur ein Faustpfand, sondern auch eine Art Lebensversicherung. Solange sich der Israeli in ihren Händen befindet, müssen die führenden Hamas-Köpfe nicht befürchten, dass israelische Soldaten sie gezielt töten. In der Machtprobe zwischen Israel und der Hamas ist nicht nur Schalit zur Geisel geworden, sondern auch die Bevölkerung im Gazastreifen. Israel hat nach der Entführung erst Sanktionen und später eine Blockade verhängt. Die Wirtschaft sei stranguliert worden, schreibt das Palästinensische Menschenrechtszentrum (PCHR). Die Arbeitslosenrate liege bei 45,2 Prozent. 60 Prozent der 1,6 Millionen Palästinenser im Gazastreifen lebten unterhalb der Armutsgrenze, 70 Prozent seien auf internationale Hilfe angewiesen.

In Israel ist jetzt der Ruf laut geworden, die Haftbedingungen für Palästinenser zu verschärfen, die wegen der Beteiligung an Terroranschlägen verurteilt worden sind. Gezielte Medienberichte, wonach Hamas-Häftlinge angeblich in Fünf-Sterne-Gefängnissen mit Vollverpflegung sitzen, Internetzugang haben und munter im sozialen Netzwerk Facebook kommunizieren, haben viele Bürger aufgebracht. Ministerpräsident Netanjahu versprach, einige „Privilegien“ abzuschaffen.

Dahinter steckt natürlich auch die Absicht, die Hamas über die Gefangenen zu Zugeständnissen zu zwingen. Das scheinen auch Schalits Eltern zu begrüßen. „Wenn die Regierung Mittel und Wege hat, Druck auf die Hamas zu machen, sollte sie diese auch nutzen“, sagt Vater Noam. Zwar zeichnet sich kein rascher Gefangenenaustausch ab, aber glaubt man Gerüchten in Gaza, dann gibt es durchaus Hoffnung.

Demnach wartet die Hamas-Führung, ob es im Mai kommenden Jahres in den Palästinensergebieten wirklich Wahlen gibt. Würde Schalit vor den Wahlen freigelassen, dann würde Israel auch Sanktionen lockern, lautet die Kalkulation. Dies könnte sich wiederum positiv auf das Wahlergebnis der Hamas auswirken. (dpa)