Charlotte Knobloch ist vermutlich die letzte Überlebende des Holocaust in diesem Amt. Am Sonntag wird ihr Nachfolger gewählt.

München/Berlin. Als Übergangspräsidentin hat man Charlotte Knobloch oft bezeichnet. Weil die Münchnerin die letzte Holocaust-Überlebende in einem der exponiertesten Ämter war, die in Deutschland zu vergeben sind. Sie selbst sieht sich nicht so. Mit Blick auf den 1950 in Israel geborenen Dieter Graumann, der am Sonntag wohl zu ihrem Nachfolger gewählt werden wird, sagte die 78-Jährige dem Abendblatt: "Ich sehe da keine großen Unterschiede. Graumanns Generation hat die Schoah ja indirekt miterlebt, weil die Eltern Holocaust-Überlebende sind. Abgesehen davon sind wir alle der Meinung, dass sich das Judentum nicht über den Holocaust definieren kann. Wichtig ist jedoch, dass die Erinnerung daran lebendig bleibt."

Sie schaue mit Freude auf ihre Arbeit als Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland zurück, sagt Charlotte Knobloch, und tatsächlich tritt sie ungleich viel heiterer auf als etwa Ignatz Bubis oder Paul Spiegel, die am Ende erschöpft, wenn nicht sogar deprimiert wirkten. Sie habe sich auch nie wirklich als Funktionärin verstanden, sagt Knobloch, das entspreche auch gar nicht ihrem Naturell. "Ich habe mich zu Themen geäußert, wenn ich mich äußern wollte, und habe mich zurückgehalten, wenn ich gesehen habe: 'Das ist nicht deine Angelegenheit.'" Und wenn es um Antisemitismus gehe, dann sei schließlich die ganze Gesellschaft gefragt und nicht nur der Zentralrat.

Vielleicht wirkt sie deshalb weniger strapaziert. Sie habe Deutschland in den zurückliegenden viereinhalb Jahren viel besser kennengelernt, sagt Charlotte Knobloch, und dass sie das Interesse des nicht jüdischen Umfelds am Judentum regelrecht beflügelt habe. Schon dafür habe es sich gelohnt, die vielen Anstrengungen auf sich zu nehmen. Knobloch, die das Dritte Reich nur überlebte, weil sie von einer ehemaligen Hausangestellten ihres Onkels aufgenommen und als uneheliches Kind ausgegeben wurde, spricht sogar von Normalität. Die Brücke, die Ignatz Bubis zum nicht jüdischen Umfeld geschlagen habe, trage inzwischen. "Wir wollten", sagt Charlotte Knobloch, "ja nicht toleriert werden, sondern anerkannter Teil der deutschen Gesellschaft werden."

So hadert sie auch nicht mehr damit, dass aus ihrer Auswanderung nach Amerika nichts geworden ist. Obwohl sie vor der Ehe mit Samuel Knobloch eigens ein Handwerk gelernt hatte. Aber dann kam das erste Kind dazwischen, dann das zweite, und irgendwann gab es die ersten wichtigen ehrenamtlichen Aufgaben. Tatsächlich hat Charlotte Knobloch in der jüdischen Community für viel Modernität gesorgt. Als sie 1984 zur Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern gewählt wurde, gab es noch keine Frauen in vergleichbaren Positionen. "Heute", meint sie lächelnd, "muss man die Männer suchen."

Als Zentralratspräsidentin war sie nicht immer bequem. Mal forderte sie die Einführung eines Schulfachs "Nationalsozialismus", mal das Verbot der NPD. Einmal sah sich sogar die Kanzlerin veranlasst einzugreifen. Nachdem die damalige Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul Israels Reaktion auf die Raketenangriffe der Hisbollah als "völkerrechtlich völlig inakzeptabel" bezeichnet und Charlotte Knobloch der Ministerin vorgeworfen hatte, mit solchen Bemerkungen einer antijüdischen Stimmung Vorschub zu leisten.

Das sah Angela Merkel offenbar genauso. Es habe sich um Wieczorek-Zeuls Privatmeinung gehandelt, ließ die Kanzlerin die Öffentlichkeit wissen. In Charlotte Knoblochs Amtszeit fallen Synagogen-Neubauten und Rabbiner-Ordinationen. Am Dienstag ist sie vom Bundespräsidenten mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden. Das sei ein schöner Tag gewesen, sagt Charlotte Knobloch, und dass sie hoffe, noch viele andere schöne Tage zu erleben. "Man schaut doch in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit." Interessante Ehrenämter hat sie noch genug an der Hacke, um die sie sich weiter kümmern will, aber ein bisschen mehr Zeit wird schon herausspringen. Charlotte Knobloch ist ein sportbegeisterter Mensch. Das Skilaufen hat sie zwar aufgegeben - "In meinem Alter weiß man nicht mehr, wie man aufsteht, wenn hinfällt!" -, aber auf die Ski-WM in Garmisch freut sie sich jetzt schon, und zu den Heimspielen des FC Bayern wird sie es künftig wohl auch öfter schaffen. Außerdem sind da natürlich noch die drei Kinder und die sieben Enkel. Also wird sie auch in Zukunft ganz schön auf Achse sein.