Beim Treffen der Kanzlerin mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan standen Integration und EU-Beitritt auf der Agenda.

Berlin. Seinem Besuch in Berlin hatte der türkische Ministerpräsident einen handfesten Vorwurf vorausgeschickt, freilich nicht an die Adresse der Bundesregierung. Recep Tayyip Erdogan warf der EU vor, sie verweigere seinem Land eine klare Perspektive für einen Beitritt. "Wenn ihr die Türkei nicht wollt, dann sagt das auch", sagte Erdogan. Ein bisschen hat er damit aber auch Kanzlerin Angela Merkel gemeint, die von der türkischen Europa-Bewerbung bekanntlich nicht viel hält. Merkel ist davon überzeugt, dass die Türkei mit einer "privilegierten Partnerschaft" mit der EU bereits bestens bedient wäre.

Bei dem Treffen am Sonnabend im Berliner Kanzleramt sicherte Merkel nun der Türkei Unterstützung in den festgefahrenen Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union zu. Sie sprach auch das Thema Integration an, um das in Deutschland zuletzt heftige Kontroversen entbrannt waren: Da gebe es unverkennbar noch Probleme, sagte sie. Oft hätten türkische Mitbürger eine geringere Ausbildung und beendeten seltener die Schule mit einem Abschluss. „Das möchten wir ändern“, sagte die Kanzlerin. Der Schlüssel dazu sei Integration. „Assimilation steht überhaupt nicht auf der Tagesordnung.“

Auch Erdogan räumte Defizite ein. Er sei „selbstverständlich“ dafür, dass die mehr als zwei Millionen Menschen türkischer Abstammung sich in Deutschland integrieren. Dazu gehöre neben der Beherrschung der türkischen Muttersprache auch ein „sehr gutes Deutsch“.

Der türkische Premier lobte Bundespräsident Christian Wulff für seine Äußerung, auch der Islam gehöre zu Deutschland. Damit habe er eine Realität anerkannt – so wie es eine Realität sei, dass auch Christentum und Judentum zur Türkei gehörten, sagte Erdogan.

Merkel kündigte eine kritische Bilanz zur Integration der Einwanderer an. Den 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens von türkischen Gastarbeitern im Oktober 2011 wolle man zum Anlass nehmen, um auch die Probleme in den Blick zu nehmen.

CSU-Chef Horst Seehofer sprach sich gegen weitere Zuwanderung aus islamischen Ländern aus. „Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun“, sagte er dem Magazin „Focus“. „Daraus ziehe er den Schluss, „dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen“.

Bei den Beitrittsverhandlungen der Türkei zur Europäischen Union sagte Merkel Erdogan Unterstützung zu. „Wo wir hilfreich sein können, werden wir das sein.“ Erdogan forderte: „Es darf keine Verlangsamung in diesem Prozess geben.“ Versprechen müssten eingehalten werden. Die Kanzlerin nannte den Prozess ergebnisoffen. Sie steht dem EU-Beitritt der Türkei bislang skeptisch gegenüber und hat dem Land eine „privilegierte Partnerschaft“ vorgeschlagen. Damit ist Erdogan aber nicht zufrieden.

Merkel kündigte an, Anfang 2011 nach Zypern zu reisen, um dort Lösungen zu sondieren. Das Problem der Mittelmeerinsel, die zwischen griechisch- und türkischstämmigen Bewohnern geteilt ist, belastet die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Beide Seiten müssten sich bewegen, sagte die Kanzlerin.

SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte einen korrekten Umgang mit der Türkei. „Man muss mit der Türkei fair umgehen und darf nicht immer neue Auflagen erfinden, damit man sie von sich fernhalten kann.“ Europa profitiere vom Wachstum in der Türkei. Das Land müsse „ein stabiler Partner bleiben, auch aus Sicherheitsgründen weltweit“.

Die Industrie rief zu einer zügigen Fortsetzung der Beitrittsgespräche auf. Wichtig dabei sei, dass es zu einem „fairen und offenen Dialog kommt“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf. Eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger lehnt einen Türkei-Beitritt ab. Nach einer Emnid-Umfrage für die „Bild am Sonntag“ sprachen sich 69 Prozent dagegen aus und nur 27 Prozent dafür. (dpa/abendblatt.de)