Ministerpräsident Erdogan sperrt Luftraum für israelische Militärmaschinen, Obama-Berater warnt vor Entfremdung von den USA.

Hamburg/Ankara. Die israelische Maschine mit mehr als 100 Offizieren an Bord war auf dem Weg nach Polen. Die Soldaten wollten die Gedenkstätte im ehemaligen NS-Vernichtungslager Auschwitz besuchen, in dem mehr als eine Million Juden ermordet worden waren. Doch das Flugzeug musste bei Erreichen des türkischen Luftraums umkehren und einen großen Umweg nach Polen fliegen: Die Regierung in Ankara hatte den Luftraum für israelische Militärflugzeuge gesperrt.

Der politisch unfreundliche Akt ist eine weitere Reaktion der Türkei auf die Erstürmung der türkisch geführten Gaza-Hilfsflottille , bei der am 31. Mai neun Türken von israelischen Elitesoldaten durch Kopfschüsse getötet worden waren. Der Vorfall hat die einst ausgezeichneten bilateralen Beziehungen praktisch zerstört.

Zunächst hatte die türkische Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan berichtet, die Sperrung gelte auch für israelische Verkehrsflugzeuge. Doch später hieß es in Regierungskreisen in Ankara, dies gelte nur für Militärmaschinen. Die israelische Zeitung "Jedioth Achronoth" berichtete, das israelische Militär habe keine offizielle Beschwerde in Ankara eingelegt, um die Spannungen nicht noch weiter zu erhöhen. Die Türkei hatte nach der blutigen Erstürmung des türkischen Führungsschiffes "Mavi Marmara" den Botschafter aus Israel abgezogen und gemeinsame Militärmanöver abgesagt.

Bei dem G20-Gipfel in Toronto hatte Erdogan ein weiteres Mal eine Entschuldigung von der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verlangt, ferner die Rückgabe der beschlagnahmten Schiffe, eine Entschädigung der Opferfamilien und eine internationale Untersuchung des Vorfalls. Erdogan erwägt nach Angaben aus türkischen Diplomatenkreisen ernsthaft die Herabstufung der Beziehungen mit Jerusalem. Er sagte in Ankara, niemand könne davon sprechen, dass Israel angegriffen worden sei. "Wäre eine einzige Waffe gefunden worden, wäre das eine große Neuigkeit seitens Israels. Aber es gab keine Waffen." Erdogan bezog sich damit auf die Erklärung Israels, die Soldaten der Eliteeinheit Shayetet 13 seien beim Abseilen vom Hubschrauber mit großer Brutalität angegriffen worden und hätten sich ihrer Haut wehren müssen. In der Tat zeigten Fotos von Bord der "Mavi Marmara" an Deck liegende bewusstlose und blutende israelische Soldaten. Israel lehnt eine internationale Untersuchung ab, begann aber gestern mit einer eigenen.

Die Sperrung des Luftraums für den früheren "strategischen Partner" Israel stellt eine neue Eskalation in der politischen Krise zwischen der Türkei und Israel dar. Mit einiger Sorge verfolgt die US-Regierung in Washington, wie Erdogan gleichzeitig engere Kontakte zum Iran und zu Syrien sucht - den geschworenen Feinden Israels also.

Eine Stunde lang redete Obama dem türkischen Premier auf dem G-20-Gipfel ins Gewissen. Obamas führender Europa-Diplomat, Philip Gordon, warnte die Türkei, ihre Unterstützer in Washington reagierten zunehmend befremdet angesichts der türkischen Reaktionen. "Es gibt Leute, die in einer Weise Fragen stellen, die neu ist", sagte Gordon, "das ist eine böse Sache, die es den USA schwerer macht, einige Dinge zu unterstützen, von denen die Türkei gern hätte, dass wir sie unterstützen." Mit Blick auf das Votum der Türkei gegen Sanktionen gegen den Iran im Uno-Sicherheitsrat fügte Gordon in seiner für diplomatische Gepflogenheiten ungewöhnlich deutlichen Kritik hinzu: "Wir meinen, dass die Türkei der Nato, Europa und den USA verpflichtet ist - aber das muss erst noch demonstriert werden." Der türkische Botschafter in den USA, Namik Tan, reagierte überrascht auf Gordons klare Äußerungen. "Ich denke, das ist unfair", beklagte sich Tan. "Wir konnten gar nicht anders votieren", sagte der Botschafter, "wir hatten unsere ganze Glaubwürdigkeit in diese Angelegenheit gelegt."

Gordon sagte, die Erklärungen der Türkei zu ihrem Votum im Sicherheitsrat seien in Washington "nicht weithin verstanden worden". Im Kongress haben sich bereits mehrere Abgeordnete, die bisher die Türkei unterstützten, von ihr abgewendet. Sie werfen Ankara einen "Kuschelkurs" gegenüber dem Iran vor, ferner, dass die Türkei darauf abziele, die israelische Blockade des Gazastreifens zu untergraben, und warnten Erdogan vor"Konsequenzen".