Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll heizt die Diskussionen um das Bahnprojekt Stuttgart 21 weiter an. Gegner drohen mit neuen Protesten.

Hamburg/Stuttgart. Der Justizminister Baden-Württembergs, Ulrich Goll (FDP), wirft den Gegnern des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 Bequemlichkeit vor. “Die Menschen sind in zunehmender Zahl sehr unduldsam und wohlstandsverwöhnt“, urteilte Goll. Das Land habe sich zu weit von den Werten des Wirtschaftswunders entfernt. “Man denkt nicht an die kommende Generation, sondern nur daran, dass einem nichts passiert, was einem selbst lästig ist“, monierte Goll in der Financial Times Deutschland. Goll, der auch FDP-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl Ende März ist, bekannte sich klar zum Projekt, bei dem der Stuttgarter Hauptbahnhof für 4,1 Milliarden Euro zu einem unterirdischen Durchgangsbahnhof umgebaut werden soll. “Wir müssen uns nur trauen. Ich habe keine Angst davor, dass wir dafür bei der Landtagswahl abgestraft werden“, sagte er. Gewählt wird in Baden-Württemberg im kommenden März.

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Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hat vor einer weiteren Eskalation der Auseinandersetzungen um das Bahnprojekt Stuttgart 21 gewarnt. "Alle müssen zeigen, dass sie verstanden haben, dass es um eine außerordentlich wichtige Sachfrage geht, die Streit verträgt, aber es geht nicht um Krieg oder Frieden", sagte Mappus dem Abendblatt.

Der Chef der schwarz-gelben Landesregierung nahm die Entschuldigung des Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir an, der behauptet hatte, Mappus wolle "Blut sehen" im Einsatz gegen die Demonstranten. "Ich akzeptiere Herrn Özdemirs Entschuldigung, zumal alles getan werden muss, um das Verhältnis zwischen Gegnern, Befürwortern und Betreibern des Zukunftsprojekts Stuttgart 21 zu entkrampfen, damit sich Bilder wie vergangenen Donnerstag nicht wiederholen."

Am Donnerstag war es bei den seit Wochen andauernden Protesten zur Eskalation gekommen. Nach Behördenangaben wurden 130 Demonstranten bei dem Einsatz der Polizei von Wasserwerfern und Pfefferspray verletzt. Nach Angaben der Demonstranten gab es weitere 280 Opfer. Auch sechs Polizisten erlitten Verletzungen.

Er habe die Äußerungen Özdemirs vor allem deshalb als schlimm empfunden, weil sie zur Aufwiegelung von Menschen hätten führen können, kritisierte Mappus. "Mir ist wichtig, dass das Klima nicht weiter durch Beleidigungen und Anfeindungen vergiftet wird. Es geht um Besonnenheit und Dialog und die Toleranz unterschiedlicher Positionen." Aus seiner Sicht handele es sich um ein bedeutendes Generationenprojekt mit großen Chancen, für das er mit allen Argumenten werbe, so Mappus. "Aber selbstverständlich haben Gegner das Recht, für ihre Ansicht friedlich zu demonstrieren."

Der bisherige Stuttgarter Kopfbahnhof soll in den nächsten zehn Jahren in den Untergrund verlegt und zu einer Durchgangsstation gemacht werden. Außerdem soll eine Schnellbahnverbindung nach Ulm entstehen. Die Gegner warnen vor hohen Kosten, negativen ökologischen Folgen und Sicherheitsgefahren durch das Projekt, das 4,1 Milliarden Euro kosten soll.

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Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Rüdiger Grube, nannte die Proteste gegen Stuttgart 21 nicht gerechtfertigt. "Ein Widerstandsrecht gegen einen Bahnhofsbau gibt es nicht", sagte Grube der "Bild am Sonntag". Das Bauprojekt sei demokratisch ausreichend legitimiert. "Bei uns entscheiden Parlamente, niemand sonst. Unsere frei gewählten Volksvertreter haben das Dutzende Male getan: im Bund, im Land, in Stadt und Region. Immer mit großen Mehrheiten", so Grube.

Die Gegner von Stuttgart 21 reagierten mit einer Drohung. Gangolf Stocker, einer der Initiatoren des Protests, sagte der Nachrichtenagentur dapd, man überlege, zum bundesweiten Boykott der Bahn aufzurufen. Über das Recht auf Widerstand bestimme immer noch das Grundgesetz und nicht der Bahnchef.

Der Grünen-Chef Özdemir hält das Projekt für nicht durchsetzbar. "Stuttgart 21 kann nicht gegen friedliche Demonstranten durchgeprügelt werden", schrieb er in "Bild am Sonntag". Die Parlamente hätten "in Unkenntnis über die wahren Kosten und Risiken" über das Projekt abgestimmt. "Wir brauchen einen Baustopp, dann einen Volksentscheid", forderte er.

Der Chef der Linkspartei, Klaus Ernst, verlangte von den Grünen eine klare Absage an eine mögliche Koalition mit der CDU. "Die Ereignisse von Stuttgart bringen die Grünen in eine Entscheidungssituation", sagte Ernst dem Abendblatt. "Wenn die Grünen im Südwesten von einer Protestwelle gegen die CDU profitieren wollen, dann dürfen sie nicht nachher in eine schwarz-grüne Landesregierung gehen und womöglich noch den Weiterbau von S21 verkünden." Die Grünen müssten sich "vor dem Superwahljahr 2011 klarer als bisher im Parteiensystem positionieren".

Die Chefin der FDP-Bundestagsfraktion und baden-württembergische Landeschefin, Birgit Homburger, beschrieb die Situation in Stuttgart als "völlig verfahren". Nötig sei ein "professioneller Streitschlichter" von außen.