Auch nach den gewaltsam aufgelösten Protesten gegen Stuttgart 21 müsse Ministerpräsident Mappus an dem umstrittenen Bahnhofsumbau festhalten.

Hamburg. Abendblatt: Herr Jesse, war der harte Polizei-Einsatz ein Fehler von Mappus?

Politikwissenschaftler Eckhard Jesse: Nein. Mappus muss unbedingt Glaubwürdigkeit bewahren. Wenn er jetzt lavieren würde, wäre das so kurz vor den Landtagswahlen fatal. Es würde seinen Gegnern Auftrieb geben und wäre für seine Anhänger ein Zeichen von Schwächen. Das Vorgehen war konsequent. Jeder wusste, dass die Bäume gefällt werden mussten. Und das war auch rechtlich abgesegnet. Bei meiner Aussage setze ich aber voraus, dass der Polizeieinsatz an sich rechtlich ordnungsgemäß ablief. Das kann ich von hier aus nicht beurteilen.

Wird die Lage weiter eskalieren?

Jesse: Die Lage wird sicherlich weiter eskalieren. Ich halte es für wahrscheinlich, dass das Thema bis in den Wahlkampf hinein diskutiert werden wird. Die Frage wird aber sein, ob sich die SPD klar gegen das Thema positionieren wird. Bislang hat sie zwar einen Volksentscheid gefordert, aber noch nicht gesagt, wie sie in der Sache steht. Ich finde es übrigens seltsam, dass die Gegner ausgerechnet jetzt ihren Protest äußern. Stuttgart 21 ist ja bereits politisch entschieden und rechtlich abgesichert.

Kann Mappus diese Welle des Protestes politisch noch stoppen? Reicht es, wenn er jetzt noch den Projektgegnern den Dialog anbietet?

Jesse: Das soll er ruhig machen. Aber damit kommt er dem Ziel nicht näher. Denn in der Sache gibt es keine Kompromissmöglichkeit. Die Landesregierung hat sich jahrelang für das Projekt eingesetzt, sie kann jetzt nicht plötzlich umschwenken. Mappus muss aber deutlich kommunizieren, dass die Entscheidungen getroffen sind und dass in einer parlamentarischen Demokratie einmal getroffene Entscheidungen nicht bei jedem Protest wieder umgestoßen werden können. Wir dürfen übrigens nicht denken, dass die, die in Stuttgart demonstrieren, die große Mehrheit im Land repräsentieren.

+++ Solidaritätsaktion für Gegner von Stuttgart 21 am Hauptbahnhof +++

Werden die Wellen des Protests denn von Stuttgart nach Berlin schwappen?

Jesse: Das glaube ich nicht. Ich halte es auch für unwahrscheinlich, dass es Konsequenzen in Berlin geben wird, falls CDU und FDP bei den Landtagswahlen verlieren sollten. In diesem Fall rechne ich auch mit keiner Koalitionskrise. In der Koalition rechnet man es außerdem Merkel hoch an, dass sie sich so klar für Stuttgart 21 ausgesprochen hat. Das war für ihre Verhältnisse sehr mutig, da sie ja sonst eher moderiert.

Rechnen Sie denn damit, dass CDU und FDP bei den Landtagswahlen ihr Stammland verlieren werden?

Jesse: Ich schätze, dass es für Schwarz-Gelb reichen wird, aber ich bin als Politikwissenschaftler kein Prophet. Ich glaube, dass der Streit um Stuttgart 21 der Koalition dabei helfen kann, ihre Stammwähler zu mobilisieren. Aber dafür müssen CDU und FDP noch viel tun. Die bisher schlechten Umfragewerte würde ich vor allem der schlechten Aufstellung der Koalition im Bund zurechnen. Da wurde das Regieren ja monatelang schleifen gelassen.