Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) bedauert die vielen Verletzten bei der Räumung der Bahnhofs-Baustelle für Stuttgart 21.

Stuttgart. Der "Tag X" beginnt fast unbeschwert. Mehr als 1000 Schüler strömen am Morgen von ihrer genehmigten Demo gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 in den Schlossgarten. Es hat sich herumgesprochen, dass die Polizei den Park räumen und absperren will, weil die ersten Bäume für den milliardenteuren unterirdischen Durchgangsbahnhof fallen sollen. Lärmend mit Trommeln, Trillerpfeifen und Vuvuzelas stellen sich Hunderte Schüler einem Polizei-Lastwagen in den Weg, auf dem Absperrgitter herantransportiert werden. Dutzende junge Leute klettern auf den Lkw und seinen Anhänger - manche von ihnen rauchen lässig. Doch dann ist der Spaß vorbei.

Spezialeinsatzkräfte der Polizei in schwarzer Montur räumen den Lkw, Wasserwerfer gehen in Stellung, Schüler werden mit Tränengas eingenebelt und von Beamten auf Pferden in Schach gehalten. Es ist das Startsignal für einen der größten und umstrittensten Polizeieinsätze in der Geschichte des Landes. "Das ist Krieg", wird später die frühere Landeschefin der Gewerkschaft Ver.di, Sybille Stamm, sagen. Sie selbst sei ohne Vorankündigung von Polizisten zu Boden geworfen, getreten und mit Tränengas besprüht worden.

Der massive Einsatz gegen die Jugendlichen spricht sich schnell herum: Immer mehr per E-Mail, SMS und Twitter alarmierte Gegner des Bahnhofsprojekts, die sogenannten Parkschützer, sammeln sich im Schlossgarten. "Wir sind friedlich - was seid ihr?", rufen Hunderte in Sprechchören den Polizisten entgegen. Als sich mehrere Dutzend Demonstranten vor den Lkw mit den Sperrgittern auf die Straße setzen, eskaliert die Situation: Um 12.48 Uhr setzt die Polizei die aufgefahrenen Wasserwerfer in Marsch, immer wieder setzen Polizisten Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Dennoch kommt der Lkw nur zentimeterweise voran, immer mehr Demonstranten setzen sich auf die Straße vor den Laster. "Es ist eine Art Stellungskrieg", sagt Matthias von Herrmann, ein Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Am Abend wird Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) sagen: "Es war ein trauriger Tag für Stuttgart."

Hinter den Fronten entsteht im Laufe des Nachmittags eine Art Lazarett für Verletzte. Mehr als 400 Menschen, darunter auch Jugendliche, hätten Augenreizungen, Platzwunden und Nasenbrüche erlitten, heißt es bei den Parkschützern. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so wehtut", sagt die 41-jährige Patricia, die bei der Sitzblockade von einem Strahl aus dem Wasserwerfer im Gesicht getroffen wurde. Die Polizei nennt eine deutlich geringere Zahl von Verletztenzahl. Es habe aber auch Gewalt gegen Beamte gegeben, sagt eine Sprecherin: "Es sind Steine geflogen." Am Abend dann zieht das Innenministerium Angaben zurück, die Polizei sei mit Pflastersteinen angegriffen worden. Es habe nur vereinzelt Würfe mit kleineren Steinen gegeben.

Der massive Polizeieinsatz löst bei der Opposition im Landtag Empörung aus. "Das ist beschämend für Baden-Württemberg", sagt SPD-Generalsekretär Peter Friedrich . CDU-Fraktionschef Peter Hauk verteidigt den Einsatz. "In einem Rechtsstaat muss man darauf achten, dass Entscheidungen nicht nur getroffen, sondern auch umgesetzt werden", sagt er.

Schnell schwappt die politische Auseinandersetzung nach Berlin über. "Mit einer brutalen Bulldozer-Politik wird die Auseinandersetzung nur schärfer und noch schwieriger werden", sagte Grünen-Chef Cem Özdemir, SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) auf, "Staat und Bürger nicht weiter gegeneinander aufzustacheln".

Die Parkschützer aber erwarten, dass die Schlacht im Schlosspark weitergeht. Mehrere von ihnen haben sich an Bäume festgekettet. Unter anhaltendem Protest liefen auch am Freitagmorgen die Baufällarbeiten auf dem Areal weiter. Hunderte Parkschützer und hunderte Polizisten standen sich um 6.00 Uhr im Schlossgarten noch immer noch im Dauerregen an den Absperrgittern gegenüber. Dahinter liefen die Schredder und zerlegten die Reste der gefällten Bäume. Immer wieder machten Demonstranten ihrem Unmut mit Pfiffen oder Sprechchören Luft.

Gegen 1.00 Uhr in der Nacht hatten die Baumfällarbeiten begonnen - beschützt von rund 1000 Polizisten und begleitet von lautstarken und heftigen, aber friedlichen Protesten.