FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger spricht im Abendblatt-Interview über das Tief von Schwarz-Gelb und ihre persönlichen Vorsätze.

Berlin. In der kommenden Woche versucht die FDP-Bundestagsfraktion auf einer Klausurtagung den Befreiungsschlag. Birgit Homburger gibt im Abendblatt-Interview die Linie vor: Die Liberalen beharren auf Steuersenkungen noch in dieser Wahlperiode - und wollen "mittlere Laufzeiten" für Atomkraftwerke durchsetzen.

Hamburger Abendblatt:

Frau Homburger, mit welchen Vorsätzen sind Sie aus der Sommerpause gekommen?

Birgit Homburger:

Mit dem Vorsatz, den Sport in den Alltag zu retten. Aber das hat bisher nicht funktioniert.

Und politisch?

Die Koalition muss in diesem Herbst unter Beweis stellen, dass sie handlungsfähig ist. Wir müssen Schritt für Schritt die großen Themen entscheiden: Haushaltssanierung, Energiekonzept, Hartz IV, Gesundheitsreform und die Strukturreform der Bundeswehr. Dabei besteht zum ersten Mal eine reelle Chance auf die Aussetzung der Wehrpflicht.

Sie mussten sich auch von einem Misstrauensvotum der Parteibasis erholen: Bei Ihrer Wiederwahl zur baden-württembergischen Landesvorsitzenden haben gerade mal 66,8 Prozent für Sie gestimmt ...

Ich hatte damit gerechnet, dass der Unmut der Basis sich ein Ventil sucht. Das Ergebnis ist vor allem eine Quittung für die Arbeit der Koalition in Berlin.

Auf Ihre Person haben Sie das Ergebnis nicht bezogen?

Natürlich denkt man über ein solches Ergebnis nach. Schließlich bin ich nicht nur Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, sondern auch Fraktionsvorsitzende in Berlin. Das Ergebnis ist für mich ein weiterer Ansporn, besser zu werden.

Gibt es Momente, in denen Sie an sich zweifeln?

Ich frage mich laufend, was ich besser machen kann. Aber solche Denkprozesse diskutiert man nicht öffentlich, sondern setzt sie in die Tat um.

Auf Bundesebene pendelt sich die FDP zwischen vier und fünf Prozent ein ...

... gerade kam eine Umfrage mit sechs Prozent.

Auch sechs Prozent führen zu der Frage, was in der FDP schief läuft.

Das ist nicht nur ein Problem der FDP, sondern ein Problem der gesamten Koalition. Die Bürgerinnen und Bürger sind hochgradig unzufrieden. Sie haben von dieser Regierung einen Politikwechsel erwartet - und haben uns monatelang im Streit erlebt. Es war schwer, eine Linie zu erkennen, und natürlich wurden auch Fehler gemacht. Die ruhige Sommerpause gibt Anlass zur Hoffnung, dass die Streiterei ein Ende hat.

Ganz so ruhig war es ja nicht. Westerwelle ist aus der eigenen Partei heraus aufgefordert worden, zu innenpolitischen Fragen zu schweigen oder den Parteivorsitz gleich ganz niederzulegen. Wie weit ist die Erosion seiner Macht schon fortgeschritten?

Guido Westerwelle ist unser Parteivorsitzender. Die FDP hat ihm viel zu verdanken. Die schwierige Lage ist in den Gremien besprochen worden. Die Verengung auf ein Thema in der öffentlichen Wahrnehmung muss beendet werden. Wir werden mehr Themen transportieren und mit mehr Personen in Erscheinung treten.

Ist es vernünftig, dass Westerwelle Parteivorsitzender und Außenminister ist?

Eine Ämtertrennung hilft in dieser Situation nicht weiter. Eine Personaldiskussion ist unnötig wie ein Kropf.

Gilt das noch, wenn die FDP im Frühjahr die wichtigen Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt verliert?

Wir werden den Herbst nutzen und Handlungsfähigkeit beweisen. Wir müssen die großen Themen entscheiden und die Ergebnisse gemeinsam vertreten. Wenn das gelingt, wird die Stimmung am Ende des Jahres eine andere sein.

In der Energiepolitik ist die Koalition tief gespalten. Wie lange sollen deutsche Atomkraftwerke denn nun laufen?

Das gemeinsame Ziel dieser Koalition ist, das Zeitalter der erneuerbaren Energien zu erreichen. Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie. Dabei wäre eine mittlere Laufzeit vernünftig, gleichzeitig müssen die Erneuerbaren so schnell wie möglich grundlastfähig gemacht werden.

Was ist eine mittlere Laufzeit? Zwölf Jahre länger, als von Rot-Grün beabsichtigt?

Wir werden die genaue Laufzeitverlängerung im Lichte aller Argumente in den nächsten Tagen beschließen.

Wozu werden Sie die Energiekonzerne verpflichten?

Längere Laufzeiten bringen den Kraftwerksbetreibern erheblichen zusätzlichen Gewinn. Davon sollten wir mindestens 50 Prozent abschöpfen.

Zusätzlich zu einer Brennelementesteuer?

Die Brennelementesteuer dient der Gewinnabschöpfung. Die Höhe kann erst bestimmt werden, wenn die Laufzeiten und die Sicherheitsauflagen festgelegt sind. Neben der Haushaltskonsolidierung muss ein Schwerpunkt bei der Förderung erneuerbarer Energie gesetzt werden ...

... und zwar wie?

Ein mögliches Modell wäre, im Forschungsetat einen Schwerpunkt bei den Speichertechnologien zu setzen. Die entscheidende Frage ist die Netzintegration der erneuerbaren Energien. Ob die Abschöpfung über eine Brennelementesteuer oder über einen Vertrag zwischen der Bundesregierung und den Energiekonzernen erfolgt, ist für mich nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass die Politik sagt, wo es langgeht. Wichtig ist mir dabei, dass der zusätzliche Gewinn nicht nur zum Stopfen von Haushaltslöchern verwendet wird.

Können Sie garantieren, dass alle deutschen Meiler in zwei Jahrzehnten noch sicher sind?

Deutschland hat hohe Sicherheitsstandards. Entweder ein Kernkraftwerk ist sicher, dann muss man es betreiben dürfen, oder es ist nicht sicher, dann muss es sofort abgeschaltet werden.

Der Bundesrat wird längeren Laufzeiten trotzdem nicht zustimmen ...

Ich kann nicht erkennen, warum der Bundesrat zur Laufzeitverlängerung befragt werden müsste. Die rot-grüne Bundesregierung hatte den Atomausstieg auch ohne Beteiligung der Länderkammer beschlossen. Außerdem hat mir noch niemand schlüssig erklären können, warum bei einer bestimmten Laufzeitverlängerung der Bundesrat befragt werden soll und bei einer anderen Laufzeitverlängerung nicht.

Deutschland sucht ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle. Eignet sich der Salzstock im niedersächsischen Gorleben?

Das von Rot-Grün verhängte Erkundungsmoratorium für Gorleben muss aufgehoben werden. Das ist längst überfällig. Am Ende der Erkundung wird sich herausstellen, ob der Salzstock für ein atomares Endlager geeignet ist. Rot-Grün hat die Entscheidung über die Endlagerung verweigert. Das war in höchstem Maße unverantwortlich.

Warum erkunden Sie nur einen Standort?

Gorleben zu erkunden hat einen langen Vorlauf mit wissenschaftlicher Expertise. Auch aus finanziellen Gründen macht es Sinn, erst einen Standort zu Ende zu erkunden.

Die Wirtschaft wächst wieder. Sehen Sie Raum für weitere Steuersenkungen in dieser Wahlperiode?

Erst einmal: Es ist auch ein Erfolg der Koalition, dass die Wirtschaft wieder wächst. Schwarz-Gelb hat die Rahmenbedingungen richtig gesetzt, zum Beispiel mit der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes und Steuerentlastungen zu Beginn des Jahres ...

... die Steuergeschenke für Hoteliers haben den Aufschwung gebracht?

Im Zentrum stand die Entlastung von Familien. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat insgesamt wichtige Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung gesetzt. Wegen neuer Herausforderungen bei der Euro-Stabilisierung haben wir jetzt eine neue Prioriätensetzung vorgenommen und die Haushaltssanierung in den Vordergrund gestellt. Wir können es aber schaffen, noch in dieser Legislaturperiode die Spielräume zu erarbeiten, um die unteren und mittleren Einkommensgruppen weiter zu entlasten. Die gute wirtschaftliche Entwicklung wird dabei helfen.

Mit Steuervereinfachung gibt sich die FDP also nicht zufrieden.

Wir wollen das Steuerrecht in diesem Herbst vereinfachen - beispielsweise durch eine vom Finanzamt vorausgefüllte Lohnsteuererklärung. Das Vereinfachungspaket sorgt bereits für eine Entlastung der Bürger, die von Experten auf 500 Millionen Euro geschätzt wird. Aber wir werden uns nicht darauf beschränken.

Das Bundeskabinett hat ein 80 Milliarden Euro umfassendes Sparpaket verabschiedet. Stimmt die FDP im Bundestag zu?

Die Koalition macht mit dem Sparen ernst. Das ist eine gute Nachricht für die junge Generation. Am Paket wird es mit Sicherheit noch Änderungen geben.

Nämlich welche?

Zum Beispiel werden wir uns den Kabinettsbeschluss zum Insolvenzrecht von dieser Woche genau anschauen. Der Fiskus darf nicht den ersten Zugriff haben, wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig wird. Sonst schaut der Mittelstand in die Röhre. Wir werden jeden einzelnen Haushalt auf weitere Einsparpotenziale abklopfen.

Aus der Union sind Forderungen gekommen, Gutverdiener stärker an der Haushaltskonsolidierung zu beteiligen - etwa durch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes ...

Wir wollen den Aufschwung fördern und nicht abwürgen.

Frau Homburger, wenn Sie bei Horst Seehofer einen Wunsch frei hätten - welchen würden Sie vorbringen?

Ich würde mir wünschen, dass Profilierungsversuche aus Bayern zulasten des Bundes wie vor der Sommerpause unterbleiben.

Und bei Angela Merkel?

Ich wünsche mir, dass Frau Merkel darauf achtet, dass die Zeitpläne für unsere Projekte eingehalten werden.

Sie wünschen sich Führung.

Wir müssen jetzt vorankommen. Es ist die Aufgabe eines jeden Ressortministers, die gesteckten Ziele zu erreichen - und natürlich auch die der Bundeskanzlerin.