Während der Oppositionschef operiert wurde, plant die SPD für die Übergangsphase. Es ist deutlich: Der Fraktionschef wird schwer vermisst.

Hamburg. Einen Tag nach seiner Ankündigung einer politischen Auszeit ist SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier operiert worden. Der 54-Jährige hatte sich als Organspender für seine an einer fortgeschrittenen Nierenerkrankung leidenden Frau Elke Büdenbender zur Verfügung gestellt. Nach Informationen von "Bild.de" war die Doppeloperation am Abend beendet und das Ehepaar in der Aufwachphase.

Gestern, am Tag eins der politischen Auszeit Steinmeiers, herrschte betonte Ruhe in der SPD-Fraktion . Steinmeiers dienstältester Stellvertreter Joachim Poß verrichtete geräuschlos den Dienst des Fraktionsvorsitzenden und wird dies noch so lange tun, bis der Amtsinhaber bei Kräften ist. Mindestens fünf Wochen, so die Planung, wird Poß die Fraktion führen. Fünf Wochen, in denen die SPD um Positionen ringen wird und der Regierung bei den großen Reformprojekten Paroli bieten muss: Da ist zum einen die parteiinterne Debatte um Rente mit 67, die trotz des Kompromisses noch weiter köchelt. Da ist die Verlängerung der Akw-Laufzeiten, die Neujustierung der Bundeswehr, die Änderung der Hartz-IV-Sätze.

Steinmeiers Pause fällt obendrein in eine Zeit signifikanter Kursentscheidungen in seiner Partei. Bereits am nächsten Montag will der SPD-Vorstand die Leitanträge für den Sonderparteitag am 26. September verabschieden. Im Mittelpunkt dabei steht ein Konzept zur Wirtschafts- und Steuerpolitik. Die Vorschläge dieses Papiers reichen von der deutlichen Anhebung des Spitzensteuersatzes und der Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge bis hin zu der Einführung einer Finanztransaktionssteuer und der Verschärfung der Erbschaftssteuer. Außerdem will die SPD die Wiedereinführung der Vermögenssteuer fordern. Steinmeier ist Gegner dieser Wiedereinführung. Seine machtvolle Stimme als Fraktionschef wird bei dieser parteiinternen Streitfrage fehlen. Er scheute sich zuletzt nicht davor, in der Rentendebatte die Errungenschaften der Großen Koalition zu verteidigen. Der ausgehandelte Kompromiss, der die Rente mit 67 nicht mehr infrage stellt, sondern allein den Zeitpunkt der Reform, trägt bereits Steinmeiers Handschrift.

Fraktionsvize Olaf Scholz lässt durchblicken, welche Lücke Steinmeier in dieser Phase reißt. Die Fraktion werde bis zur Rückkehr Steinmeiers das politische Alltagsgeschäft "solidarisch bewältigen", sagte Scholz dem Abendblatt. Und er fügte hinzu: "Das geht." Ob es auch gut geht, will in der SPD noch niemand beantworten. Auch auf dem Parteitag Ende September wird die Stimme Steinmeiers fehlen. Es ist so offensichtlich wie noch nie: Die Partei und seine Fraktion werden Steinmeier in den zu erwartenden heißen Phasen der politischen Auseinadersetzung vermissen. Ein nüchternes "Weiter so" - auch ohne den Oppositionschef - will die SPD gar nicht erst erproben. Gestern sagte die Fraktion eine für die erste September-Woche in Magdeburg geplante dreitägige Fraktionsklausur ab. Stattdessen wollen die SPD-Parlamentarier nun verkürzt und in Berlin unter Leitung des Interimsvorsitzenden Poß beraten. Anstelle von Steinmeier wird voraussichtlich Parteichef Sigmar Gabriel die Hauptrede bei der ersten Lesung des Haushalts 2011 Mitte September im Bundestag halten. Gleichzeitig ließ die SPD-Fraktion keinen Zweifel daran, dass Steinmeier bei der abschließenden Lesung des Etats im November selbst wieder im Plenum reden soll.

Dieser Rückhalt wäre vor wenigen Monaten noch nicht selbstverständlich gewesen. Im Oktober des vergangenen Jahres, kurz nachdem sich Steinmeier am Abend der krachenden Wahlniederlage als Kanzlerkandidat kurzerhand zum neuen Fraktionschef ausgerufen hatte, hatten ihm viele in der Partei keine große Zukunft als Oppositionsführer gegeben. Lustlos wirkte er am Anfang. Mit sich und der Aufgabe hadernd, konnte man dem leidenden Steinmeier zusehen, wie er manchmal zu zaghaft, manchmal zu überdreht seine neue Rolle suchte. Hinzu kamen kleine Eifersüchteleien und Konflikte mit Neu-Parteichef Sigmar Gabriel. Hinter vorgehaltener Hand sprachen Abgeordnete bereits über den möglichen Zeitpunkt, an dem Gabriel Steinmeier den Chefsessel der Fraktion streitig machen werde, um sich die Machtbasis für die Kanzlerkandidatur 2013 endgültig zu sichern. Im Moment ist dieses Szenario in weite Ferne gerückt.

Vor drei Jahren, im November 2007, hatte sich auch der damalige Arbeitsminister Franz Müntefering aus der Politik verabschiedet, um seine krebskranke Frau bis zu ihrem Tod im Sommer 2008 zu pflegen. Steinmeier holte Müntefering später zurück. Müntefering wurde noch einmal Parteichef. Ähnlich kann es Steinmeier ergehen: Er könnte in Zukunft eine wichtigere Rolle einnehmen als bisher. In den Umfragen ist er ohnehin - wie zu schwarz-roten Regierungszeiten - beliebter als Gabriel. Bleibt es dabei, kann die Frage der Kanzlerkandidatur noch spannend werden.