Die CDU-Ministerinnen Ursula von der Leyen und Kristina Schröder beanspruchen die Zuständigkeit für die Hartz-IV-Familien für sich.

Hamburg/Berlin. Die Bildungs-Chipkarte für Kinder aus bedürftigen Familien hat sich zu einem Streit innerhalb der Bundesregierung entwickelt. Die alte und die neue Familienministerin - Ursula von der Leyen (51, jetzt Arbeit und Soziales) und ihre Nachfolgerin Kristina Schröder (33, beide CDU) - sind sich bei diesem Thema alles andere als grün. Schröder hatte in der "Bild am Sonntag" gesagt, die Chipkarte dürfe nicht dazu führen, dass von Kindern Bewegungsprofile erstellt würden und staatliche Stellen ihr Freizeitverhalten erfassten.

Von der Leyen konterte: Die Kritik Schröders an ihren Plänen für eine Chipkarte für Kinder aus Hartz-IV-Familien sei "abwegig". Bibliothekskarten und Städtepässe gebe es bereits heute, erklärte sie: "Es würde doch niemand auf die abwegige Idee kommen, diese Karten zu verteufeln mit dem Argument, man könne damit herausfinden, in welchem Verein ein Kind Fußball spielt oder welches seine Lieblingsbibliothek ist", sagte von der Leyen. "Ein Mitgliedsausweis erstellt noch lange kein Bewegungsprofil." Im Übrigen sei die Bildungskarte ein Zahlungsmittel .

Bei der Chipkarte gebe es offenbar noch viele "Missverständnisse". Übersetzt bedeutet das: Die Kollegin hat das Konzept nicht verstanden. Mit Schröder, so von der Leyen, habe sie "inzwischen gesprochen". Doch damit ist der Ministerinnen-Zwist um die Sachleistungen für Kinder aus Hartz-IV-Familien nicht beendet. Das Bundesverfassungsgericht hatte angemahnt, dass neu berechnet werden muss, was ein Kind zum Leben benötige - materiell genauso wie an Bildung, Nachhilfe, Turnverein, Musikschule.

+++ KOMMENTAR VON MAIKE RÖTGER: Bildungscard als Organisationsblase +++

Beim Streit der Ministerinnen geht es weniger um technische Details einer Idee, sondern vielmehr um die Zuständigkeit für die Kinder- und Familienpolitik für Bedürftige, die den Staat in jedem Jahr Milliarden kostet - ob aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit oder aus den Kassen der Städte.

Formal ist von der Leyen zuständig. Hartz IV ist ihr Beritt. Doch die Kinder sind ein Unterressort Schröders. Sie hatte erst im Januar angekündigt, dass alle familienpolitischen Leistungen auf den Prüfstand gehören. Das war ein Wink Richtung von der Leyen, die in den vier Jahren zuvor in Sachen Elterngeld, Krippenausbau, Schutz vor Pornografie und allerlei Initiativen so viel thematisiert hat, dass ihrer Nachfolgerin eine umfangreiche Agenda fehlt. Sie muss jetzt versuchen, sich zu profilieren, sich von ihrer Vorgängerin abzusetzen und in der Kinderpolitik eigene Akzente zu setzen.

Die Idee der Bildungskarte wird mittlerweile bundesweit diskutiert. Hamburg interessiere sich dafür, Modellprojekt für die Karte zu werden, wie Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) dem Abendblatt sagte. In Berlin findet selbst der engagierte Bürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), die Pläne für Chipkarten oder Gutscheine richtig, Es sei ein "mutiger Schritt", nicht einfach nur mehr Geld zur Verfügung zu stellen. SPD und Linke sehen von der Leyens Chipkarten-Pläne insgesamt jedoch skeptisch.

In der CSU gibt es nach wie vor Bedenken gegen eine "Bevormundung" der Eltern. Wirtschaft und Experten finden den Ansatz gut: "Das Gutschein-Modell ist eine innovative Idee und ein treffsicheres Instrument", sagte der Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. Auch die FDP scheint sich, anders als bei anderen kontroversen Themen innerhalb der schwarz-gelben Koalition, auf von der Leyens Pläne einzulassen. Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Cornelia Pieper sagte, die Bildungskarte schaffe im Vorschulalter Voraussetzungen für die Begabtenförderung.

Wie Familienministerin Schröder glauben allerdings auch Sozialexperten nicht, dass sich eine Chipkarte flächendeckend unbürokratisch einführen lässt. Welche Institution muss demnächst welche Art von Lesegeräten anschaffen? Schröder zweifelte außerdem in der "Bild am Sonntag" an, dass man in Berlin oder bei der Bundesagentur wisse, welche Hilfe in einzelnen Städten notwendig sei: "Vor Ort weiß man viel besser, woran es wirklich fehlt."

Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sieht die Pläne skeptisch. ZdK-Sprecherin Christa Licharz-Lichtenthäler sagte, bessere Bildungschancen seien zu begrüßen: "Es wäre aber ein Trugschluss zu glauben, dass es mit der Einführung und dem Aufladen einer Chipkarte getan ist und der Markt schon den Rest regeln wird."

Als Modellprojekt einer Chipkarte für bedürftige Kinder gilt die bereits 2001 in Stuttgart eingeführte Familiencard. Sie ermöglicht den günstigen Besuch von Schwimmbädern, Museen und Theatern. Alle Stuttgarter Familien mit drei Kindern und die Familien mit bis zu 60 000 Euro Bruttojahreseinkommen erhalten sie.

Vorbild für diese Leistungen ist der sogenannte "Wuermeling", der 1955 eingeführte Ausweis für kinderreiche Familien, mit denen sie günstig Bahnfahrkarten erwerben konnten. Der "Wuermeling" ist benannt nach Franz-Josef Wuermeling (CDU). Als erster Familienminister der Bundesrepublik (1953 bis 1962) war er der Vorvorgänger von der Leyens und Schröders.