Sozialsenator Wersich unterstützt das Modell von Ursula von der Leyen. Mit der Chipkarte sollen Kinder in Hartz-IV-Familien unterstützt werden.

Hamburg/Berlin. Zukünftig sollen Kinder bedürftiger Eltern vor allem mit Sachleistungen gefördert werden - und nicht mit Geld. Darauf einigten sich gestern bei einem Spitzentreffen in Berlin Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die Fachminister aus den Ländern und die Kommunalverbände. Es ist ein Minimalkonsens in der Diskussion, wie Hartz-IV-Familien am besten unterstützt werden. Wie genau diese Förderung aussehen soll, darüber wird allerdings heftig diskutiert - sowohl zwischen Regierung und Opposition als auch in der Koalition.

Von der Leyen setzt auf die Einführung einer elektronischen Chipkarte. Damit sollen Kinder in Hartz-IV-Familien Nachhilfe, Schulmaterial, Musikunterricht oder Sportangebote abrechnen können. Zuspruch bekam die Arbeitsministerin für dieses Modell von Hamburgs Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU). "Es ist sinnvoll, die Kinder nicht durch Geld, sondern mithilfe von Dienstleistungen und Gutscheinen zu unterstützen", sagte er dem Abendblatt. So gehe man sicher, dass die Hilfe auch wirklich den Kindern zugutekomme. Geht es nach von der Leyen, soll die Bildungschipkarte 2011 in einigen Modellregionen und 2012 dann bundesweit eingeführt werden. Wersich sagte weiter, er könne sich vorstellen, "dass wir gemeinsam mit der Wirtschafts- und Schulbehörde an einem Modellprojekt für die Bildungscard teilnehmen, um dieses Projekt auch bundesweit voranzubringen".

In den SPD-geführten Ländern stößt der Bildungschip auf Ablehnung. Die Sozialdemokraten fordern, zunächst den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen. Demnach haben Kinder aus Hartz-IV-Familien ab dem 1. Januar 2011 Anspruch auf höhere Bildungsleistungen. Noch aber hat das Arbeitsministerium den Bedarf nicht neu berechnet.

Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), sagte dem Abendblatt, er habe deshalb die große Sorge, dass es sich bei der Bildungschipkarte "um ein großes Ablenkungsmanöver handelt". Das Bundesverfassungsgericht habe die klare Verpflichtung ausgesprochen, dass konkret ermittelt werden müsse, was Kinder wirklich bräuchten. "Diese Ermittlung ist überfällig", stellte Sellering klar. "Sie lässt sich nicht durch die willkürlich festgesetzte Summe für eine Chipkarte ersetzen", so der Ministerpräsident. "Die beste Art, Kindern zum Beispiel ein gesundes Mittagessen oder guten Nachhilfeunterricht zukommen zu lassen, ist, beides kostenlos in der Schule zur Verfügung zu stellen."

Ähnlich äußerte sich die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU), die bessere Dienstleistungen oder kostenloses Mittagessen in der Schule für sinnvoller hält. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kritisierte die Karte als "mediales Getöse" von der Leyens und forderte eine Neuberechnung der Regelsätze.

Bei der Diskussion um die Chipkarte geht es auch um die grundsätzliche Frage, wie viel Verantwortung der Staat für seine Bürger übernimmt und wie viel er ihnen vorschreibt. Gegner des Modells argumentieren, dass den Eltern so ein pauschales Misstrauensvotum ausgestellt werde. Impliziert werde, dass sie Sozialleistungen in Form von Bargeld lieber für ihre eigenen Bedürfnisse statt zum Wohle ihrer Kinder ausgeben. So hatte CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär gestern schon vor dem Gipfel davor gewarnt, dem Staat die Elternrolle zuzuweisen. "Guthaben auf einer Chipkarte, die nur für bestimmte Betreuungs-, Bildungs- und Sportangebote eingelöst werden können, beschränken in anmaßender Weise die elterliche Erziehungsfreiheit", sagte Bär "Handelsblatt Online". Eltern wüssten am besten, was gut und richtig für ihre Kinder ist.

Vertreter der Kommunalverbände zeigten sich gestern erleichtert darüber, dass keine zusätzlichen Kosten auf sie zukommen werden. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Stephan Articus, sprach von "Entwarnung für die Kommunen". Es sei deutlich geworden, dass die Kommunen weder mit zusätzlichen finanziellen Belastungen rechnen müssten noch neue Strukturen errichtet würden. "Es wird kein Bundesjugendamt geben", sagte Articus. Auch von der Leyen beteuerte, es werde "keine zusätzlichen Belastungen geben für die Kommunen". Sie betonte, dass die Kosten für die Infrastruktur der Karten "selbstverständlich auch vom Bund übernommen" würden.