Joachim Gauck entlässt Christian Wulffs Chef des Bundespräsidialamtes und bringt langjährige Vertraute mit, die SPD und Grünen nahestehen.

Berlin. Kaiser-, nein, Präsidentenwetter herrschte gestern in Berlin: Der Himmel zeigte sich strahlend blau, die Sonne schien, und für märkische Verhältnisse gab es - während der letzten Winterstunden - geradezu tropische Temperaturen. Ein wenig blinzeln mussten Joachim Gauck und Daniela Schadt, Christian Wulff sowie Horst und Karin Seehofer. Am Vormittag wurde der Amtssitz offiziell übergeben. Und so wie in den vergangenen Wochen manch Ungewöhnliches geschah, so waren dazu gleich drei Amtspersonen zugegen: der neue Bundespräsident Gauck, die Interimsvertretung Seehofer und das frühere Staatsoberhaupt Wulff. Nicht ganz protokollgerecht fehlte Bettina Wulff.

Kurz vor elf Uhr sauste die schwarze Limousine mit Standarte und dem Kennzeichen 0-1 mit dem neuen Präsidentenpaar vor das Portal des Schlosses Bellevue. Die bisherigen Hausherren kamen dem künftigen auf dem roten Teppich entgegen. Händeschütteln. Während Gauck und Wulff sich recht ausführlich begrüßten, begannen die Glocken mit dem Elf-Uhr-Geläut. Der deutlich schlanker gewordene Christian Wulff schäkerte mit Daniela Schadt, und die neue "First Freundin" legte ihre Hand fast zärtlich auf dessen Rücken. Dann wendete sich das Quintett ab; als Erster betrat Wulff das Bellevue. Kurz danach erschien das neue Präsidenten-Paar abermals in der Öffentlichkeit, schritt die Stufen des Schlosses hinunter und winkte in die Kameras.

Ob er eher Respekt oder Vorfreude empfinde, fragten Reporter Gauck. Der deutete auf sein Herz. "Es puckert sehr hier. Das ist jetzt mehr Respekt." Dann rief Gauck noch - ziemlich wenig mecklenburgisch - fröhlich "Ciao" und wendete sich ab. Anschließend saßen die fünf beisammen, das Amt wurde übergeben. Seehofer hatte bereits zuvor gewarnt, von einem idealen Präsidenten zu sprechen. "Wenn etwas ideal wirkt, dann sind das meist Kunstfiguren, die gern von den Medien und der Öffentlichkeit entsprechend konstruiert werden - aber der Praxis nicht standhalten", sagte Seehofer der "Leipziger Volkszeitung". Gauck werde im Übrigen "manchen Diskurs auslösen, und keine politische Seite wird ihn vereinnahmen können".

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Michael Sommer, fordert vom neuen Bundespräsidenten unterdessen Einsatz für soziale Gerechtigkeit. Er hoffe, dass Gauck dazu den Begriff der Freiheit während seiner Amtszeit weiter entwickle, sagte Sommer. "Freiheit ohne soziale Gerechtigkeit ist eine sehr eingeschränkte Freiheit", betonte der Gewerkschaftschef.

Gauck stellte sich gestern auch bei den Mitarbeitern vor. Und er verabschiedete Staatssekretär Lothar Hagebölling. Neuer Chef des Bundespräsidialamts ist David Gill . Der 46-jährige Jurist traf mit weit weniger Pomp ein: Um halb elf fuhr Gill mit einem antiquierten grünen Fiat vor, der schon länger keine Waschanlage gesehen hat. Die Polizisten an der Pforte musterten Gill recht ausführlich. Dann aber öffneten sie ihm die Schranke.

Gill ist SPD-Mitglied. Aber er sagte: "Ich definiere mich nicht über meine Parteimitgliedschaft." Der bisherige Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche sucht auch den Kontakt zu den anderen Konfessionen. Mit dem Vertreter der katholischen Kirche in Berlin, Prälat Karl Jüsten, verstehe er sich sehr gut. Er habe "großen Respekt" vor dem neuen Amt, bekennt Gill. Seine Vorgänger hatten in der Position an der Spitze des Präsidialamtes nicht immer den besten Eindruck hinterlassen. Aber er traue sich das zu. Das Amt mit rund 150 Mitarbeitern müsse parteienübergreifend geführt werden.

"Keine politische Seite wird Joachim Gauck vereinnahmen können" Horst Seehofer, Interims-Bundespräsident

Gill war 1991 bis 1992 Pressesprecher der Stasi-Unterlagen-Behörde, als Gauck Chef der Behörde war. Die beiden Ostdeutschen mit evangelischem Hintergrund lernten sich bei der Auflösung der Stasi und der Arbeit in der letzten DDR-Volkskammer näher kennen. Mit Gauck verbinde ihn über die Jahre Freundschaft und vertrauensvolle Zusammenarbeit, sagt Gill.

Gauck sei politischer Ziehvater und Ratsuchender zugleich gewesen. Schon im Jahr 2010, als Gauck sich das erste Mal um das Bundespräsidentenamt bewarb, war Gill an seiner Seite. Er war auch als Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde im Gespräch, als die Amtszeit von Marianne Birthler ablief.

Zu Gaucks neuem und altem Umfeld zählt auch Johannes Sturm. Der 31-Jährige betreute Gauck ebenfalls bei dessen erster Präsidentschaftskandidatur - als Pressemann. Verwurzelt ist der Münsteraner in der SPD. Zehn Jahre lang war er in der Parteizentrale mit Presseaufgaben betraut und von dort auch ins Wahlkampfteam Gaucks "ausgeliehen". Andreas Schulze, 48, ist dagegen fest im Grünen-Milieu verankert: Er war Vorstandssprecher bei den Berliner Grünen, Referatsleiter und Sprecher im Verbraucherministerium bei Renate Künast. Schulze ist Gründungsmitglied der Ost-Grünen. In der DDR flog er von der Schule, weil er den Wehrdienst ablehnte. Wegen versuchter Republikflucht bekam er als 16-Jähriger eine Bewährungsstrafe. Die Kirche sei ein Schutzraum gewesen, sagt er. Er hängt an Punkmusik und dem Fußball-Zweitligaverein Union Berlin. Schulze soll aber möglicherweise nur vorübergehend Sprecher bleiben.

Gaucks erste Termine sind heute eine Festveranstaltung in Leipzig zu "800 Jahre Thomana", am Donnerstag die Preisverleihung der Herbert-Quandt-Stiftung im Rahmen des Ideenwettbewerbs für Bürgerstiftungen, am Freitag die Vereidigung. Die erste Auslandsreise wird Gauck nach Polen führen.