Staatsoberhaupt spricht bei internem Neujahrsempfang im Präsidialamt: “Dieses Stahlgewitter ist bald vorbei.“ SPD und Grüne suchen schon Nachfolger.

Berlin. In der Kredit- und Medienaffäre von Bundespräsident Christian Wulff bereiten sich SPD und Grüne schon auf die Wahl eines neuen Staatsoberhaupts vor. SPD-Chef Sigmar Gabriel wandte sich an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und warb für einen gemeinsamen Kandidaten von Regierung und Opposition. Falls Wulff zurücktrete, müsse man "partei- und lagerübergreifend" nach einem geeigneten Bewerber für das Schloss Bellevue suchen, verlautete aus SPD-Kreisen. Es gehe darum, "Schaden vom Amt und der Republik abzuwenden".

Der von SPD und Grünen 2010 nominierte Joachim Gauck komme, wie es weiter hieß, selbstverständlich wieder als Kandidat infrage. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels sagte der "Welt": "Für die SPD gibt es keinen Grund, mit einem anderen Kandidaten als Joachim Gauck in die Gespräche zu gehen." Gabriel bekräftigte in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", nach einem Rücktritt Wulffs brauchten "CDU/CSU und FDP keine Sorge zu haben, dass die SPD diese Situation zu nutzen versucht, um einen eigenen Kandidaten durchzusetzen". Gabriel widersprach zudem seiner Generalsekretärin Andrea Nahles, die Neuwahlen für den Fall eines Wulff-Rücktritts gefordert hatte.

Ähnlich wie Gabriel rief Grünen-Chefin Claudia Roth die Bundeskanzlerin dazu auf, nach einem Rücktritt des Staatsoberhaupts eine Verständigung mit der Opposition zu suchen. Sie erwarte, dass Merkel "auf die politischen Kräfte in diesem Land zugeht mit einem wirklichen Interesse an einem überzeugenden und glaubwürdigen gemeinsamen Kandidaten für das Schloss Bellevue", sagte Roth der "Welt". Sie fügte hinzu, Gauck wäre "ein idealer Bundespräsident gewesen". In der Bundesversammlung haben Union und FDP nur noch eine dünne Mehrheit.

+++ SPD-Angebot: "Große Koalition" bei Wulff-Nachfolgesuche +++

Die CSU wies den Vorstoß der Opposition zurück. "Gabriel hat in der ganzen Debatte schon immer den nötigen Anstand vermissen lassen und tut das auch jetzt", sagte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt der "Welt". Im Umfeld der Kanzlerin hieß es: "Zu Fragen, die sich nicht stellen, geben wir naturgemäß keine Stellungnahme ab." In der Regierungskoalition wurden auch Berichte dementiert, Merkel habe sich mit dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer und FDP-Chef Philipp Rösler bereits auf ein Verfahren zur Nominierung eines neuen Kandidaten geeinigt.

Wulff geht offenbar davon aus, dass er im Amt bleiben kann. Nach Informationen der "Bild am Sonntag" sagte der Bundespräsident beim internen Neujahrsempfang des Präsidialamts: "In einem Jahr ist das alles vergessen." Wulff habe sich zuversichtlich gezeigt, dass "dieses Stahlgewitter bald vorbei ist". Der Präsident wolle bis 2015 einen guten Job machen und dem Amt nach eigenen Worten einen weiteren Rücktritt nach Horst Köhlers Abgang 2010 ersparen, zitiert die Zeitung aus Wulffs Rede beim Neujahrstreffen mit Mitarbeitern.

Vor dem Amtssitz des Staatsoberhaupts im Schloss Bellevue in Berlin demonstrierten am Sonnabend etwa 400 Menschen gegen Wulff. Auf Plakaten forderten Teilnehmer den Bundespräsidenten zum Rücktritt auf. "Wulff in die Produktion" hieß es auf Plakaten, oder "Bundespräsidenten haben kurze Beine".

Viele der Demonstranten hielten Schuhe in die Luft. Mit dieser Geste werden in der arabischen Kultur Menschen verhöhnt, aber auch Ärger und Verachtung ausgedrückt. Am Ende der Demonstration kam es zu einer Rangelei zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Dabei wurden nach Angaben der Polizei ein Beamter und ein Demonstrant verletzt.

Zugleich kamen am Wochenende weitere Details in der Affäre ans Licht. So hat Wulff laut "Spiegel" vor der ersten Berichterstattung der "Bild"-Zeitung über seinen Privatkredit zur Finanzierung eines Eigenheims nicht nur dem Chefredakteur Kai Diekmann gedroht, sondern auch dem Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer AG, Mathias Döpfner. Der Verlag, in dem auch das Abendblatt erscheint, bestätigte die Darstellung des Magazins. Laut der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) und des "Spiegels" hat der Bundespräsident gegenüber dem "Bild"-Chefredakteur zwar einerseits darum gebeten, die Veröffentlichung um einen Tag zu verschieben, andererseits aber auch mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht.

Im schwarz-gelben Regierungslager wächst derweil die Kritik an Wulff. Der FDP-Vizevorsitzende Holger Zastrow forderte in der FAS vom Staatsoberhaupt mehr Aufklärung: "Die Vorwürfe müssen ausgeräumt werden, und das ist noch nicht gänzlich geschehen." Es sei irritierend, wie Wulff sich scheibchenweise der Wahrheit nähere, "wie er sich entschuldigt und noch mal entschuldigt", sagte der sächsische FDP-Vorsitzende.

Führende Unionspolitiker signalisierten aber auch, Wulff weiter unterstützen zu wollen. So sagte CDU-Generalsekretär Gröhe dem "Spiegel", der Bundespräsident verdiene trotz "Ungeschicklichkeiten und Fehler" eine Chance, Vertrauen wieder aufzubauen. CSU-Chef Seehofer erklärte: "Wir stellen uns hinter Menschen in Schwierigkeiten, es sei denn, die Schwierigkeiten sind so groß, dass man das nicht mehr verantworten kann. Das ist bei Christian Wulff nicht der Fall."