Der Bundespräsident Christian Wulff ringt um verlorene Routine. Die Vorwürfe richten sich nun auch gegen seine Ehefrau Bettina.

Berlin. Die Flügeltüren sind wieder geöffnet, die meisten Sternsinger verlassen bereits den Saal im Schloss Bellevue. Ein Stimmengewirr setzt ein. Da wendet sich Christian Wulff noch einmal zum Mikrofon. Er hat das Bedürfnis, doch noch etwas über sich und seine Situation zu sagen. Er hätte die Frage eines Journalisten, wie es ihm gehe, einfach präsidial ignorieren und seinen Empfang für die singenden, kostümierten Kinder routiniert fortsetzen können. Aber Wulff erkennt, dass selbst dieser zutiefst unpolitische Termin keine Rückkehr zur Routine zulässt. Wenn man sich so einen Termin anschaue, "dann geht es einem doch gut", sagt er. Wie es ihm denn gehe, will jetzt der Fragende wissen. Ein langer, recht schwer verständlicher Satz folgt: "Die letzten Tage waren jedenfalls so - die letzten Wochen -, dass man, in meinem Leben jedenfalls, das man sich nicht noch einmal zumuten muss. Also insofern denke ich mal, werden Sie Verständnis dafür haben, dass ich mich freue, dass das Jahr 2012 jetzt losgeht und man sich wieder seinen eigentlichen Aufgaben zuwenden kann."

Wulff wendet sich ab, die Schlossführung für die 55 aus Nordrhein-Westfalen angereisten Sternsinger kann nun endlich beginnen. Die Flügeltüren schließen sich. Es ist der finale Moment 45 öffentlicher Minuten für den Bundespräsidenten und seine Gattin Bettina. Alles, was der Präsident gesagt hat, jede Regung, jeder Blick zu Bettina, das perfekt sitzende Lächeln seiner Frau, alles an den Wulffs ist eine Dreiviertelstunde lang genau verfolgt worden.

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Manche Sätze aus dem Mund des Präsidenten sind besonders hängen geblieben. Ob bewusst oder unfreiwillig, vieles von dem, das das Staatsoberhaupt an diesem Vormittag an die Sternsinger gerichtet hat, wirkt doppeldeutig. "Wir alle sollen ja auch ein Segen sein und kein Fluch", sagt er. Eigentlich will Wulff nur den Gedanken der Segensformel aufnehmen, die ein Junge zum Beginn des Empfangs auf die Schlosstür geschrieben hat. Aber an diesem Tag mit dem Druck einer endlosen Medien- und Kreditaffäre wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Ist in den Worten vielleicht eine Spur von Selbstkritik zu hören? Klar ist: Der Präsident ist weit entfernt von der Normalität, die er versucht auszustrahlen.

Wenige Kilometer entfernt lässt gleichzeitig Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren Sprecher Steffen Seibert ausrichten, dass sie nach wie vor "große Wertschätzung" für Wulff als Menschen und Achtung vor dem Amt des Bundespräsidenten habe. Das Interview, das Wulff am Mittwochabend gegeben habe, sei ein "richtiger Schritt" gewesen. Seine Entschuldigung sollte akzeptiert werden. Ein Ende der Debatte will aber auch Seibert nicht verkünden. Es gebe keinen Moment, wo gesagt werden könne, "jetzt ist es vorbei".

Und vorbei scheint es für Wulff auch nicht zu sein. Die "Bild"-Zeitung übermittelte inzwischen eine Abschrift des Wortlauts seines Anrufs auf die Mobilbox von Chefredakteur Kai Diekmann an den Präsidenten. Dies sei geschehen, damit sich Wulff "bei Aussagen darüber nicht nur auf seine Erinnerung stützen muss", teilte die Axel Springer AG mit. Zugleich bekräftigte die "Bild"-Chefredaktion, eine Veröffentlichung nicht ohne Zustimmung Wulffs vorzunehmen. Den Druck auf Wulff hielten andere Veröffentlichungen aufrecht. Der "Focus" berichtete, Wulffs Ehefrau habe zum Teil kostenlos Kleider deutscher Luxus-Modehersteller zur Verfügung gestellt bekommen. Wulffs Anwalt Gernot Lehr habe dies bestätigt. Die Bekleidung sei gekauft oder gegen Gebühr geliehen worden. Einige Kleider seien aber auch "kostenlos bereitgestellt" worden, sagte Lehr. Bei der Erstellung der Steuererklärung seien sie jedoch berücksichtigt worden.

Die Zeitung "Die Welt" schrieb, die BW-Bank widerspreche Wulffs Darstellung, der langfristige Darlehensvertrag für sein Haus sei am 25. November per Handschlag geschlossen worden. Es seien da zwar alle Konditionen vereinbart worden, der Vertrag sei aber erst mit der Unterschrift Wulffs am 21. Dezember zustande gekommen. Auch Vorwürfe wegen seiner früheren Tätigkeit als VW-Aufsichtsrat wurden laut. VW-Investoren halten Wulff nach einem Bericht der "Wirtschaftswoche" vor, während der Übernahmeschlacht von Porsche und Volkswagen Pflichten verletzt zu haben. So habe er als niedersächsischer Ministerpräsident und Mitglied im VW-Kontrollgremium nicht verhindert, dass Anleger getäuscht worden seien. Die Investoren fordern knapp 1,8 Milliarden Schadenersatz.

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