Mit 100 Fragen wollen die Grünen in Niedersachsen auch McAllister treffen. Wahlforscher: Es fällt kein Schatten auf den Regierungschef.

Hannover. Am Montagabend ist der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister Stargast beim Jahresempfang der Bremer CDU. Er soll die Parteifreunde an der Weser aufrichten nach der schweren Wahlniederlage bei der Bürgerschaftswahl im vergangenen Jahr. Dabei könnte McAllister selbst Aufmunterung gebrauchen: Ein Jahr vor der Landtagswahl in Niedersachsen fällt sein Koalitionspartner FDP in den Umfragen ins Bodenlose, und in der Staatskanzlei stapeln sich die kritischen Anfragen der Oppositionsparteien zur Causa Wulff. Trost aber kommt vom Bremer Wahlforscher Prof. Lothar Probst. "Ich glaube nicht, dass die Affäre um Bundespräsident Christian Wulff auf seinen Nachfolger abfärbt", sagte er dem Abendblatt.

Genau darauf aber legt es inzwischen die Grünen-Fraktion an. Sie veröffentlichte am Freitag einen Katalog von 100 Fragen, will nun wirklich alles wissen über Urlaubsreisen des damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff (CDU) und heutigen Bundespräsidenten, über Zuwendungen des Landes an Firmen seiner Freunde wie Carsten Maschmeyers Finanzdienstleister AWD. Ein anderer Komplex beschäftigt sich ausführlich mit dem "Nord-Süd-Dialog", einem regelmäßigen Prominenten-Treffen zwischen Niedersachsen und Baden-Württemberg, und der Frage, ob die Staatskanzlei da eben doch unter dem Ministerpräsidenten Wulff Sponsorengelder eingeworben hat. Und zum privaten Hauskredit über 500.000 Euro für Wulff vom Ehepaar Geerkens gibt es gleich 50 Fragen. Dann ist da noch der "Club 2013", ein Zusammenschluss von CDU-Förderern. Auch hier wollen die Grünen wissen, ob Mitgliedern des Klubs Landesfördergelder zugeflossen sind. Für Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel geht es nicht mehr nur um die Glaubwürdigkeit des früheren Ministerpräsidenten Wulff, sondern auch um die "Souveränität von McAllister".

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Die erste Plenarsitzung des Landtags vom 18. bis 20. Januar wollen auch Linke und SPD zum Forum für das machen, was die SPD "die Verquickung von Politik und Wirtschaft" nennt. Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Frauke Heiligenstadt schlägt dabei sofort den Bogen von Wulff zu seinem Nachfolger McAllister: "Immer deutlicher zeichnet sich ein Bild unguter Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft in Niedersachsen ab, das vor 2010 von Herrn Wulff etabliert und jetzt von David McAllister weitergeführt wird." Auch die Linksfraktion legte am Freitag noch einmal nach und reichte einen förmlichen Antrag ein, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu beschließen. Hier wollen sie auch noch der Frage nachgehen, ob 42 000 Euro Werbegelder von AWD-Gründer Maschmeyer für ein Wulff-Buch den Tatbestand der verbotenen Parteienfinanzierung erfüllen. Für diesen Ausschuss aber zeichnet sich bislang nicht das notwendige Quorum von 20 Prozent der Abgeordneten ab.

Um die Affäre Wulff möglichst lange köcheln zu lassen, könnten die Oppositionsparteien auch noch vor den Staatsgerichtshof in Bückeburg ziehen, um dort klären zu lassen, ob der damalige Ministerpräsident gegen das Ministergesetz verstoßen habe. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtags hat sich in dieser brisanten Frage bislang nicht festgelegt.

Für CDU-Fraktionschef Björn Thümler geht es bei den vielen Fragen und Anträgen nicht mehr um Aufklärung in der Sache, sondern nur darum, die nächste Landtagssitzung umzufunktionieren: "Die Opposition betreibt Politshow statt Landespolitik, der voluminöse Fragenkatalog über Christian Wulff entlarvt sich als Versuch, die Landesregierung zu beschädigen."

Parteienforscher Probst ist skeptisch, ob es der Opposition gelingen wird, McAllister quasi in Mithaftung für seinen Vorgänger zu nehmen. Seine Einschätzung im Gespräch mit dem Abendblatt: "Der neue Ministerpräsident hat sich nach Amtsantritt ein gutes Stück emanzipiert von Christian Wulff. Er ist relativ schnell in die Rolle des Landesvaters geschlüpft und füllt die nach meiner Wahrnehmung auch souverän aus."

Aber Probst macht eine Einschränkung: "Solange sich nicht herausstellt, dass McAllister in persönliche Verfehlungen von Wulff eingeweiht war, dass er sie als Fraktionsvorsitzender gedeckt hat, solange fällt auch kein dunkler Schatten auf ihn."

McAllister nahm auch am Freitag nicht persönlich Stellung zur Affäre Wulff, sondern ließ seinen Sprecher Franz-Rainer Enste mitteilen, er dringe auf sorgfältige Aufklärung aller Vorwürfe. Parteienforscher Probst zeigt dafür Verständnis: "In solchen Situationen versucht man den goldenen Mittelweg zu wählen. Eine totale Distanzierung wäre nicht glaubwürdig, dafür war das Verhältnis über viele Jahre viel zu eng. Andererseits kann man Wulff nicht offensiv verteidigen. Also bleibt nur, die Affäre zu beschweigen und sich da rauszuhalten."

Andererseits macht der Wahlforscher dem Ministerpräsidenten sogar Druck. Zwar gibt er der CDU gute Chancen, bei der Landtagswahl am 20. Januar 2013 ihre Position als stärkste Partei zu verteidigen, aber: "Aus meiner Sicht ist die FDP für McAllister ein größeres Problem als die Affären um Bundespräsident Wulff. Die Liberalen sind so am Boden, dass man kaum Hoffnung haben kann, dass sie sich bis zur Landtagswahl in Niedersachsen wieder erholen."

Hoffnungsschimmer für die CDU sind aus der Sicht des Wahlforschers ausgerechnet die Piraten. Wenn diese junge Partei den Einzug in den Landtag schaffe, so steige damit die Chance, dass Rot-Grün die Mehrheit der Mandate verfehle: "Bei einem Patt gibt es wieder verschiedene Konstellationen. Jetzt gilt es abzuwarten, was die Wahl in Schleswig-Holstein bringt."

Auch dort wollen SPD und Grüne eine schwarz-gelbe Landesregierung ablösen. Die Wähler im Norden entscheiden darüber am 6. Mai.

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