Der Bundespräsident inszenierte sich als Mensch, nicht als Staatsmann - ob das hilft?

Angekündigt wurde ein Interview mit dem Bundespräsidenten. Zu sehen war in ARD und ZDF ein Gespräch mit Christian Wulff. Dieser Auftritt hatte nichts Präsidiales, nicht einmal etwas Staatsmännisches, wie auch? Da saß kein Politiker mehr im TV-Studio, da saß einfach nur ein Mensch. Die getragene, bedachte Sprache war weg, jeder Anflug von Souveränität zudem. Der Bundespräsident gab sich auf einmal als einer von uns, der nicht nur das Recht auf ein Privat-, sondern gleich auf ein ganz normales Leben einforderte.

Ob all das jetzt ehrlich gemeint oder nur Kalkül war: Christian Wulff dürfte bei vielen Eindruck hinterlassen haben, die, anders als die von Berufs wegen zur Nüchternheit verpflichteten professionellen Beobachter, empfänglich sind für menschliche Schwächen. Ja, der Mensch Wulff dürfte nicht selten statt Mitleid sogar Mitgefühl bei den TV-Zuschauern erzeugt haben. Nicht auf der Sachebene, also als es um die Auseinandersetzung mit kritischen Punkten wie der privaten Kreditvergabe oder dem Anruf beim Chefredakteur der "Bild"-Zeitung ging. Da war er in seinen Argumenten und mit seiner Verteidigungsstrategie einfach zu schwach.

Nein, Wulff punktete auf der Gefühlsebene, also als er Andeutungen über seine schwierigen Familienverhältnisse machte, über die Anfeindungen gegenüber seiner Frau sprach oder sich für Fehler entschuldigte. In diesen Momenten war es den Zuschauern möglich, sich selbst in Christian Wulff zu erkennen. Was hatte der, wohl überlegt, gesagt? Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein ...

Das war klug vom Menschen Wulff. Ob es dem Bundespräsidenten Wulff hilft in seinem Bestreben, erstens trotz aller Verwerfungen der vergangenen Wochen die volle Wahlperiode durchzustehen und zweitens danach, wie gewünscht, als gutes Staatsoberhaupt in die Geschichte einzugehen, muss sich zeigen. Denn nach diesem Interview fängt er quasi von vorn an. Der Bonus des Amtes, sonst Garantie für hohe Beliebtheitswerte, ist aufgebraucht, der Nimbus des Staatsmannes weg. Christian Wulff steht quasi nackt vor seinem Volk, er ist nicht besser (und nicht schlechter?) als die, deren oberste Instanz er eigentlich sein soll. Der Weg zu alter Würde ist jetzt sehr, sehr lang, länger als er je für irgendeinen Bundespräsidenten gewesen ist. Wulff wird sich all das hart erarbeiten müssen, was es sonst mit dem Einzug ins Schloss Bellevue gratis dazu gibt.

Keine Frage: Es wäre einfacher gewesen, zurückzutreten, und wahrscheinlich wäre es auch ehrlicher gewesen.

Wenn man Wulff etwas anrechnen kann, dann, dass er sich für die schwierigere Alternative entschieden hat. Es kommen harte Zeiten auf den Mann zu, der Bundespräsident werden will. Er muss sein Verhältnis zu den Medien neu definieren, er darf sich keine weiteren Fehler erlauben, er wird auf längere Zeit mit Spott und Häme leben müssen.

Vielleicht ist das seine Art, Buße zu tun. Die letzte Chance in der Karriere des Politikers Christian Wulff ist es auf jeden Fall. Immerhin besteht die, wenn auch kleine Möglichkeit, dass er den Weg tatsächlich bis zum Ende schafft, dass aus dem normalen Menschen, als den er sich jetzt vor Millionen Deutschen präsentierte, doch noch ein wahrer Präsident wird.

Dem Amt wäre das auf jeden Fall zu wünschen.