Die Dokumentation des Interviews mit dem Bundespräsidenten. Christian Wulff gibt Fehler zu, glaubt aber an die Unterstützung der Bürger. Und er gewährt einen Einblick in sein Seelenleben

Hamburg. Am Mittwochmittag ging es ganz schnell. Bundespräsident Christian Wulff werde sich am Abend zur besten Sendezeit in einem Interview mit ARD und ZDF zu seinem umstrittenen Privatkredit erklären, hieß es in Berlin. Und vor allem wolle er sich dafür rechtfertigen, dass er bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann die Berichterstattung darüber offenbar verhindern wollte - per Drohanruf und Botschaft auf der Mailbox. Noch bevor das Interview im Hauptstadtstudio der ARD aufgezeichnet wurde, beklagten sich RTL und andere Privatsender, dass sie ausgeschlossen wurden. Das Hamburger Abendblatt dokumentiert Teile des Interviews von Bettina Schausten (ZDF) und Ulrich Deppendorf (ARD).

Bettina Schausten:

Sie sind heute am ersten Tag wieder im Schloss Bellevue am Arbeitsplatz. Haben Sie in den letzten Tagen auch mal ernsthaft an Rücktritt gedacht?

Christian Wulff:

Nein. Denn ich hatte die ganzen Wochen über große Unterstützung von vielen Bürgerinnen und Bürgern, meiner Freunde und auch der Mitarbeiter. Ich nehme meine Verantwortung gerne wahr, ich habe sie für fünf Jahre übernommen. Und ich möchte nach fünf Jahren eine Bilanz vorlegen, dass ich ein guter, erfolgreicher Bundespräsident war; und ich mache das mit Freude und aus Überzeugung und weiß, dass ich nichts Unrechtes getan habe, aber nicht alles richtig war, was ich getan habe.

Schausten:

Waren Sie es bisher nicht, ein guter Bundespräsident?

Wulff:

Doch, aber es wird ja im Moment gerade über die letzten Wochen gesprochen, und da steht es in Abrede, und man muss am Ende nach fünf Jahren bewerten und beurteilen. Und ich glaube auch, vor drei Wochen wäre über die ersten anderthalb Jahre ein gutes Urteil ausgefallen.

Ulrich Deppendorf:

Jetzt kommen wir mal zu den Kritikpunkten, die Ihnen vorgeworfen werden. Sie sind in den letzten Tagen besonders in die Kritik geraten wegen der Anrufe bei dem Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, Kai Diekmann, und bei dem Vorstandsvorsitzenden des Springer-Konzerns, Herrn Döpfner. Ihnen wird Verletzung des Grundrechts der Pressefreiheit vorgeworfen. Sie sollen auf dem Band beide Herren bedroht haben. Sie sprechen von "Krieg führen", vom endgültigen Bruch. Ist so etwas nicht unwürdig für einen Präsidenten?

Wulff:

Der Anruf bei dem Chefredakteur der "Bild"-Zeitung war ein schwerer Fehler, der mir leid tut, für den ich mich entschuldige. Ich habe das auch sogleich nach der Rückkehr aus dem Ausland persönlich getan, es ist auch akzeptiert worden. Ich habe mich in der Erklärung vor Weihnachten ausdrücklich zum Recht der Presse- und Meinungsfreiheit bekannt, und halte das für mein eigenes Amtsverständnis nicht vereinbar. Ich habe mich offenkundig in dem Moment eher als Opfer gesehen, als denjenigen, der eine Bringschuld hat gegenüber der Öffentlichkeit.

Deppendorf:

Aber besonnen wollen Sie agieren. Das ist aber kein Zeichen von Besonnenheit, wenn dann ein Präsident zu einem Telefonhörer greift und einen Chefredakteur mehr oder weniger auf der Mailbox beschimpft.

Wulff:

Nein. Ich muss mein Verhältnis zu den Medien herstellen, neu ordnen, anders mit den Medien umgehen, sie als Mittler stärker einbinden und anerkennen. Sie haben eine wichtige Aufgabe in der Demokratie. Die Medien haben auch ihre Verantwortung, aber die müssen sie selber unter sich ausmachen. Vielleicht muss man die Situation auch menschlich verstehen. Wenn man im Ausland ist, in vier Ländern in fünf Tagen, zehn Termine am Tag hat und erfährt, dass Dinge während dieser Zeit in Deutschland veröffentlicht werden sollen, wo man mit Unwahrheit in Verbindung, wo man also Vertrauensverlust erleidet, dann muss man sich auch vor seine Familie stellen. Wenn das Innerste nach außen gekehrt wird, private Dinge, eine Familienhaus-Finanzierung, wenn Freunde den Kredit gegeben haben, in die Öffentlichkeit gezogen werden, dann hat man (eine) Schutzfunktion und man fühlt sich hilflos.

Schausten:

Nun sagen Sie, an der Stelle haben Sie sich offenbar als Opfer gefühlt. Sie achten die Pressefreiheit, was schon ein bisschen erstaunlich ist, dass ein Bundespräsident das betonen muss. Nun hat man aber das Gefühl, das ist vielleicht nur ein Lippenbekenntnis.

Wulff:

Wenn Sie die Erfahrung machen, dass privateste Dinge aus dem privatesten Bereich zum Teil Jahrzehnte zurückliegen, aus einer schwierigen Kindheit, einer schwierigen Familie öffentlich gemacht werden, und Sie kurz vor der Veröffentlichung mit den Fakten konfrontiert werden, dann ist es doch normal, dass man darum bittet, noch einmal ein Gespräch zu führen. Ich musste ja auch einen Lernprozess machen. Ich bin vom Ministerpräsidenten zum Bundespräsidenten ja sehr schnell gekommen, ohne Karenzzeit, ohne Vorbereitungszeit, das ging sehr schnell. Und ich bin aus Hannover nach Berlin gekommen (...), aber trotzdem ist es noch etwas anderes, ob man als Ministerpräsident Akteur ist oder ob man als Staatsoberhaupt den präsidialen Anforderungen genügt.

Deppendorf:

Ihre Glaubwürdigkeit hat ja vor allem deswegen Schaden genommen, dass Sie zwar vollständige Aufklärung in ihren Fällen versprochen haben, die Fakten aber immer nur scheibchenweise herausgekommen sind, die Sie nur scheibchenweise auf den Tisch gelegt haben. Warum diese Salamitaktik? Das war doch eigentlich auch unwürdig.

Wulff:

Wenn sie 400 Fragen bekommen, wir haben inzwischen 400 Fragen durch die von mir beauftragten Anwälte, ich habe ja Anwälte gebeten, weil das Ganze nicht in meiner Amtszeit spielt, es ist alles vorher, geht zum Teil in die 70er-Jahre zurück, die Fragen, die da kommen. Und deswegen sind die Anwälte beauftragt, nicht das Bundespräsidialamt damit beschäftigt. Die haben jetzt rund 400 Fragen beantwortet, alle sachgemäß nach bestem Wissen und Gewissen. Und wenn Sie 400 scheibchenweise Fragen bekommen, wo Sie sich manchmal wirklich fragen müssen, was sich dahinter verbirgt, dann können Sie auch nur scheibchenweise antworten. Die Grunddaten der Finanzierung unseres Einfamilienhauses habe ich von Anfang an genannt.

Schausten:

Haben Sie noch diese Unbefangenheit, haben Sie noch Autorität jetzt?

Wulff:

Also, wir müssen alle hohe Ansprüche haben in dem Wissen, dass wir alle fehlbar sind. Und natürlich denkt man viel jetzt über die Bibelstelle nach: Derjenige, der ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Und alle gingen bei dieser Steinigung. Weil allen klar wurde: Also Vorsicht, wenn du mit einem Finger auf andere zeigst, zeigen andere auf dich selbst. Insofern wird man auch lebensklüger.

Schausten:

Demütiger?

Wulff:

Und man wird auch ein bisschen demütiger. Man wird lebensklüger. Und man muss aus eigenen Fehlern lernen. Und gerade die Glaubwürdigkeit, die man als Bundespräsident braucht, die wird man nur zurückerlangen, wenn man auch im Umgang mit seinen eigenen Fehlern Lernfortschritte unter Beweis stellt. Darauf wird es jetzt ankommen.

Deppendorf:

Haben Sie durch Ihr Verhalten in den letzten Wochen das Amt des Bundespräsidenten schwer beschädigt?

Wulff:

Das Amt des Bundespräsidenten ist aus vielerlei Gründen in Deutschland schwieriger geworden. Und durch diese Art von Umgang mit den Dingen hat man dem Amt sicher nicht gedient. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass ich durch eine ganze Reihe von Aktivitäten in der Amtszeit das Amt des Bundespräsidenten wieder gestärkt habe.