Ein Flug von A nach B ist vor allem eines: schnell. Fallen die Flüge jetzt wegen der Aschewolke aus, ist Neuorganisation gefragt - auch eine Kunst.

Paris, Frankreich

Hamburg. 2.15 Uhr in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag. Ein roter VW-Bus T5 mit dem spanischen Kennzeichen 4827 GTT hält am Straßenrand in Paris. Eine Frau steigt aus. Verabschiedet sich müde, aber gut gelaunt von ihren Freunden. Durch die regennassen Fensterscheiben winken ein Belgier und ein Holländer, ein Franzose, zwei Kambodschaner, ein Schotte und ein Deutscher. Sieben Menschen, die sich gerade mal 14 Stunden kennen und gemeinsam 1200 Kilometer zurückgelegt haben. Sieben Gestrandete, deren Wege sich am Sonnabend um 11.05 Uhr am Flughafen von Madrid das erste Mal gekreuzt haben und die das Flugverbot in einem acht Quadratmeter großen VW-Bus zusammengebracht hat.

DER WEG DER ASCHEWOLKE IN DEN NÄCHSTEN STUNDEN UND TAGEN

Am Steuer dieser Schicksalsgemeinschaft sitzt Karsten Moos. Er ist 38 Jahre alt und kommt aus Hamburg-Farmsen. Mit zwei Laptops im Gepäck und einer Reisetasche ist er am 11. April von Fuhlsbüttel mit der KLM nach Madrid gestartet. Vier Stunden dauert der Flug in die spanische Hauptstadt. 1781 Kilometer ohne bleibende Eindrücke, ohne prägende Erfahrungen. Welche Dimension hinter dieser Strecke steckt, erfährt Moos genau eine Woche später. Während er am Steuer sitzt und die Strecke gemeinsam mit seinen Mitfahrern auf vier Rädern zurücklegt.

Es ist Sonnabend, der 17. April, 8 Uhr. Auf dem Flughafen Madrid warten Hunderte Passagiere auf ihren Flug. An den Anzeigetafeln wird eine Maschine nach der anderen gestrichen. Auch der Flug von Moos ist dabei. Der 38 Jahre alte EDV-Trainer zögert nicht lange. Er will sich einen Wagen mieten, die Strecke von 2300 Kilometern mit dem Auto zurücklegen. Doch allein die Miete verschlägt ihm den Atem. 2400 Euro will der Vermieter haben. Moos telefoniert mit dem ADAC, will wissen, ob es andere Möglichkeiten für ihn gibt. Er redet laut. Er redet von Hamburg, davon, dass er festsitzt und ein Auto braucht. Als er auflegt, steht bereits eine Handvoll Gleichgesinnter um ihn herum. Sie alle wollen mitfahren im VW-Bus. Sie alle haben das gleiche Ziel: ihr Zuhause. "Es ist komisch", sagt er. "Wenn man plötzlich das Gefühl hat, festzusitzen, bekommt man richtig Panik. Man will unbedingt weg."

Um 12.15 Uhr dreht Karsten Moos den Zündschlüssel um. Auf den Rückbänken ganz hinten sitzt die Französin Sandrine neben den Kambodschanern Rachna und Solaneth, auf der mittleren Bank haben es sich die Belgierin Els, der Franzose Hervé und der Schotte Steve bequem gemacht. Auf dem Beifahrersitz wartet Michael aus Utrecht. Es regnet in Strömen, als die Fahrgemeinschaft Madrid verlässt. Chips, Sandwiches, Kekse gehen rum. Es wird philosophiert, über die Entfernung, die der Mensch gar nicht mehr spürt, wenn er im Flugzeug Kontinente überquert. Es wird geplaudert über Politik und den Beruf, geschlafen und alle zwei Stunden der Fahrer gewechselt. Um 2.15 Uhr erreichen sie Paris. Sandrine steigt als Erste aus, wenig später verlassen Hervé, Steve und das Ehepaar aus Kambodscha den Bus. Die anderen fahren weiter nach Brüssel, verbringen den Rest der Nacht bei Els im Gästezimmer. Karsten Moos und sein Begleiter Michael teilen sich ein Doppelbett. Nach dem Frühstück fahren die zwei Männer weiter. Michael verabschiedet sich in Utrecht. Karsten Moos legt die letzten 450 Kilometer allein zurück. Als er die deutsche Grenze passiert, geht ihm ein Schauer über den Rücken. Nach 36 Stunden ist das Ziel erreicht. An der Haustür wartet Mutter Ruth. Sie hat Fleisch und Kartoffeln für ihren Sohn gekocht. Bevor dieser sich endlich ins eigene Bett legen kann, schaltet er noch mal den Rechner ein. Und schreibt auf Englisch: "Obwohl ich sehr müde bin, habe ich unsere Reise genossen - ich hoffe, wir bleiben in Kontakt." Die Mail geht an seine Mitfahrer.

Gran Canaria, Spanien

Die Stimmung war prächtig. 120 Golfer, darunter prominente Sportler wie die Fußball-Weltmeister von 1990, Karl-Heinz Riedle und Stefan Reuter, die HSV-Legende Manfred Kaltz oder Handball-Weltmeister Erhard Wunderlich, hatten bei der achten Palm Beach Hotel Golf Trophy bis zum Sonnabend stolze 135 000 Euro erspielt. Das Geld geht an die Hamburger Stiftung Mittagskinder. Seit Sonntag versuchen die Organisatoren nun, die Prominenz wieder nach Hause zu bringen. "Wir hatten schon einen Charterflieger aus Madrid organisiert, der alle Spieler am Montagabend nach Wien fliegen sollte", erzählt Christian Nimmich von der Agentur Seaside. "Doch am Nachmittag fiel auch diese Variante flach, weil der Luftraum über Frankreich und Italien gesperrt war." Die Fußballer nutzen nun das verlängerte Inselleben notgedrungen zum - genau - Golfspielen. Heute soll ein neuer Anlauf zum Ausfliegen unternommen werden. Fast schade.

New York, USA

Eine Woche im Big Apple durften sie erleben. Die zweite Woche wird ihnen nun aufgezwungen. Johannes und Kati Bising sitzen in ihrem Appartement-Hotel am Lincoln-Park fest. Ihr Flug wurde gestrichen. Nächstmöglicher Rückflug für die beiden ist der 26. April. Vier Stunden hatte Johannes Bising am Sonntag auf dem Flughafen verbracht. Unermüdlich versuchte er zur Lufthansa-Servicehotline Kontakt aufzunehmen. Vergeblich. "Ich bin sauer und enttäuscht", sagt der 68-Jährige. Enttäuscht über das "miserable Krisenmanagement" der Fluggesellschaft. Sauer über die Kosten, die nun auf ihn zukommen. 1200 Euro beträgt die Miete für das Appartement für eine weitere Woche. In Hamburg will sich Bising das Geld zurückholen. Wo und wie, das weiß er noch nicht genau. Er will erst mal den "Zwangsurlaub" genießen. "Wir holen uns jetzt einen Kaffee und schlendern dann durch den Central Park", sagt er. Vom Fenster aus kann das Ehepaar die legendäre Grünanlage sehen. Es ist ein sonniger Tag. Bising will nun versuchen, den Schalter umzulegen.

Ruse, Bulgarien

"Am Freitagabend erfuhr ich, dass auch mein Rückflug von Bukarest nach Frankfurt gestrichen war", erzählt Angela Grosse, Kultur- und Wissenschaftsmanagerin des "Kunstraums SyltQuelle". Sie wurde von dem Flugverbot bei einer Tagung in Ruse, Bulgarien, überrascht. Ruse, an der Grenze zu Rumänien, ist etwa zweieinhalb Autostunden von Bukarest entfernt. "Unter bahn.de fand ich noch einen Zug um 23.45 Uhr von Bukarest nach Ungarn und bin mit dem Taxi sofort zum Bahnhof gerast." Die Bahnhofshalle war dunkel. Nur zwei Schalter hatten geöffnet, vor denen sich lange Schlangen bildeten. Ein Busfahrer half beim Ordern des Tickets für den Nachtzug nach Ungarn. "In dem Bahnhof saßen nur ein paar ältere Männer herum. Dort sprach mich der Busfahrer noch mal auf Englisch an, worauf sich eine junge Frau umdrehte und sagte: ,Can I help you?'" Die junge Frau war Amerikanerin, Sarah aus Wyoming, arbeitete für eine US-Hilfsorganisation in einem kleinen rumänischen Bergdorf. Zum Glück sprach sie auch Rumänisch und konnte im Zug helfen, noch eines der letzten freien Betten im Liegewagen zu bekommen. Der Zug fuhr durch die Karpaten. "Mein Handy durfte ich im Schaffner-Abteil aufladen und so endlich nach Hause simsen, dass ich noch lebe." Auf der Fahrt lernte Grosse noch einen Rumänen und einen US-Bürger serbischer Herkunft kennen, die beide in Wien arbeiteten. Als sie am Sonnabendmorgen in Arad an der ungarischen Grenze ankamen, hatte der Zug zwei Stunden Verspätung. Den beiden Mitfahrenden gelang es, ein Taxi zu organisieren, das sie von Arad immerhin nach Budapest brachte. Am Nachmittag am Budapester Bahnhof war die Hölle los. Die nächste Station war Wien, und von dort ging es dann um 19.54 Uhr endlich nach Hamburg. Unterwegs ließ der Zugführer zwei Stunden anhalten und holte die Polizei, weil der Zug völlig überlastet war. Statt um acht war sie um zehn in Hamburg. Gestern sagte sie: "Ich habe wahnsinnig nette und hilfsbereite Menschen kennengelernt. Die hätte ich ohne das Flugverbot nie getroffen."

Las Vegas, USA

Eine Rundreise durch die USA hat der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Hans Lafrenz gemeinsam mit Parteifreunden gemacht. Am Freitag war der Rückflug von Las Vegas über London nach Hamburg geplant. Doch nun sitzt die Reisegruppe in dem Spielerparadies fest. Noch bis mindestens Donnerstag haben Lafrenz und seine Begleiter Zeit, Roulette zu spielen oder an den unzähligen Spielautomaten ihr Glück zu versuchen. Erst dann wird es frühestens einen Rückflug für die Hamburger geben.