BGH räumt Opfer-Schutz von Schwerkriminellen Vorrang ein. Richter wiesen Revision von Sexualmörders ab, der eine Frau erwürgt hatte.

Hamburg/Karlsruhe. Darf ein jugendlicher Sexualstraftäter, der seine Strafe abgesessen hat, weiter eingesperrt sein, weil die Gesellschaft Angst vor ihm haben muss? Er darf. In einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof die nachträgliche Sicherungsverwahrung von Jugendlichen gebilligt. Das 2008 in Kraft getretene Gesetz verstoße nicht gegen verfassungsrechtliche Vorschriften oder gegen die Menschenrechte, entschied das Gericht und wies damit die Revision des verurteilten Sexualmörders Daniel I. (32) ab (AZ: 1 StR 554/09).

Seine Tat liegt 19 Jahre zurück. Daniel I. hatte der Sozialpädagogin Margit R. beim Joggen im Kelheimer Forst aufgelauert. Der Schreinerlehrling zog die Frau mit einer Drahtschlinge in den Wald, erwürgte sie, riss ihr die Kleider vom Leib und befriedigte sich über dem nackten Opfer. Er entkam mit seinem VW-Golf. Die Tat blieb unbeobachtet; das Auto nicht. Ein DNA-Test führte die Fahnder auf die Spur des Täters. Das Landgericht Regensburg verurteilte ihn nach Jugendstrafrecht zu zehn Jahren Haft. Während der Haft attestierte ihm ein Gutachter eine zunehmende sexuelle Störung, die ihren Höhepunkt noch nicht erreicht haben sollte.

Der Fall schreckte die Große Koalition in Berlin auf. Sie beschleunigte damals ihre Bemühungen, eine nachträgliche Sicherungsverwahrung auch bei einer Jugendstrafe per Gesetz zuzulassen. Nur fünf Tage vor der geplanten Entlassung von Daniel I. trat das Gesetz in Kraft - rückwirkend -, also auch für bereits Verurteilte wie ihn. Daraufhin ordnete das Landgericht Regensburg an, dass er in Haft bleiben musste - eine Premiere.

Das 2008 in Kraft getretene Gesetz verstoße nicht gegen die Grundrechte der Betroffenen, entschied der BGH. Zudem diene die Regelung dem Schutz potenzieller Opfer, "denn auch Opfer haben Menschenrechte", betonte der Vorsitzende Richter Armin Nack (AZ: 1 StR 554/09). Er räumte zwar ein, dass sich das Gesetz "im verfassungsrechtlichen Grenzbereich" befinde. Aber die rote Linie sei nicht überschritten. Der Grund für die andauernde Freiheitsentziehung liegt bei der Sicherungsverwahrung im berechtigten Anliegen der Bevölkerung, vor gefährlichen Rückfalltätern geschützt zu werden. Der BGH verwies zudem darauf, dass bei jugendlichen oder heranwachsenden Tätern die Sicherungsverwahrung nur nachträglich und nicht bereits beim Strafurteil wie bei Erwachsenen angeordnet werden kann. Der Gesetzgeber wolle damit die nicht abgeschlossene Persönlichkeitsentwicklung berücksichtigen und drücke die Hoffnung aus, dass der Erziehungsgedanke im Jugendstrafvollzug greift und eine positive Entwicklung der Täter noch möglich ist.

Psychologen hatten genau umgekehrt argumentiert, dass sich verlässliche Prognosen zur Gefährlichkeit bei Jugendlichen besonders schwer erstellen lassen, weil der Reifeprozess noch nicht abgeschlossen ist. Gerichte gehen entsprechend zurückhaltend mit der nachträglichen Sicherungsverwahrung für jugendliche Ersttäter um.

Zuletzt hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die in Deutschland eingeführte nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung als Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention gerügt. Er sah darin eine Verletzung des Prinzips, dass das Strafgesetz schon zum Zeitpunkt der Verurteilung bestehen muss.

Der BGH ging in seinem Urteil davon aus, dass die Straßburger Entscheidung nicht auf das Jugendstrafrecht übertragbar sei. Außerdem ist die Entscheidung aus Straßburg noch nicht rechtskräftig. Die Verteidiger des Betroffenen kündigten bereits Verfassungsbeschwerde an.