CIA-Flüge: Regierung entlastet Behörden - an Entführung des Deutschen unbeteiligt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Bundestag: Am 8. Juni 2004 wurden Kanzleramt und Außenministerium erstmals informiert.

Berlin. Frank-Walter Steinmeier ließ die dezente Sprache der Diplomaten gestern kurz beiseite und wurde ungewöhnlich deutlich: Manche Vorwürfe im Entführungsfall des Deutschlibanesen Khaled al-Masri seien "infam, maßlos und verantwortungslos" - so drastische Worte benutzt ein Außenminister in der Öffentlichkeit eher selten. Das schwere Geschütz richtete sich gegen die, die eine Verstrickung deutscher Stellen bei der Verschleppung al-Masris unterstellten.

Damit wollte er im Bundestag in "aller Deutlichkeit" aufräumen: Weder Geheimdienste noch Bundesregierung und Bundeskriminalamt (BKA) hätten Beihilfe zur Verschleppung geleistet. Das war seine Quintessenz der intensiven Recherche in den Ministerien, die in den vergangenen Tagen ihre Aktenarchive eilig durchforsteten.

Allerdings harren auch nach dem "Tag der Wahrheit" viele Fragen der Aufklärung. Zum einen muß sich Ex-Innenminister Otto Schily (SPD) fragen lassen, warum er nach der Unterrichtung durch den damaligen US-Botschafter Daniel Coats am 31. Mai 2004 sein Wissen nicht weitergegeben hat. Damals war al-Masri, der nach eigenen Angaben Anfang 2003 von der CIA fünf Monate lang nach Afghanistan verschleppt wurde, bereits drei Tage wieder frei. Das Bundeskanzleramt und das Auswärtige Amt wurden erstmals am 8. Juni 2004 durch den Anwalt al-Masris unterrichtet.

Steinmeier berichtete den genauen Ablauf: Der Brief des Anwalts von al-Masri mit der Bitte um Sicherung gerichtsfester Beweise sei am 8. Juni 2004 eingegangen. Bereits am 10. Juni habe daraufhin das BKA die örtliche Staatsanwaltschaft und am 14. Juni den Generalbundesanwalt eingeschaltet. Dort sei al-Masri am 17. und 18. Juni als Zeuge vernommen worden. Seit Juli 2004 liege der Fall bei der Staatsanwaltschaft München.

Vielfach seien auch US-Stellen immer wieder gedrängt worden, Auskünfte zu erteilen. Schily habe sich daran intensiv beteiligt. Aber erst im November dieses Jahres sei Schily erstmals signalisiert worden, daß die Sache in den Händen der zuständigen Behörden sei.

Steinmeier gab in dem Zusammenhang bekannt, daß al-Masri wieder in die USA einreisen dürfe. Seinen Angaben zufolge machte US-Außenministerin Condoleezza Rice bereits vor einer Woche deutlich, daß al-Masri seine Klage vor einem Bezirksgericht im Staat Virginia gegen den US-Geheimdienst CIA wegen seiner Verschleppung persönlich zusammen mit seinem Anwalt vertreten dürfe. Zuvor hatten US-Behörden bei der Einreichung der Anklage al-Masri die Einreise noch verweigert. Innenminister Wolfgang Schäuble fügte dem anschließend hinzu, daß al-Masri auch eine Entschädigung von der US-Regierung erhalten habe. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtete unter Berufung auf einen Aktenvermerk zum Gespräch zwischen Botschafter Coats und Schily, es handele sich um ein "Schweigegeld". Coats habe die Entführung als Irrtum dargestellt. Auch nach ARD-Informationen sollen die USA eine Entschädigung angeboten haben, wenn er über seine Verschleppung schweige.

Steinmeier sagte, daß bei den umstrittenen CIA-Flügen "in der Tat noch viele Fragen offen sind". Er sehe aber auch mit Sorge, daß aus der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus unterschiedliche Schlußfolgerungen gezogen würden. "Die Achtung von Recht und Gesetz ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält." Der Außenminister verwies auch darauf, daß nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 die Islamistenszene in Deutschland "systematisch untersucht" worden sei. Er deutete an, daß es darüber auch einen Informationsaustausch mit ausländischen Sicherheitsdiensten gegeben habe, um Anschläge in Deutschland zu verhindern. Vor die Fachausschüsse geladen waren auch die Bundesminister für Inneres und Justiz, Schäuble und Brigitte Zypries. Die Opposition hatte eine "lückenlose Aufklärung" gefordert. In der größtenteils als geheim eingestuften Sitzung des Innenausschusses kam auch der Fall des Deutschsyrers Mohammed Zammar zur Sprache, der seit vier Jahren in Damaskus inhaftiert ist. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte, Schäuble habe versichert, daß Zammar nach deutschen Erkenntnissen nicht gefoltert worden sei.