Der Tag danach: Die Union ist ratlos und angeschlagen, die SPD versucht sich in entschlossenem Optimismus. Noch halten sich die Unionsgrößen mit Kritik an Angela Merkel zurück. Heute Wiederwahl zur Fraktionschefin.

Berlin. Am Morgen danach spuckt Volker Kauder immer noch Gift und Galle. "Keinen Cent mehr für Meinungsforschung, lieber fliege ich mit meiner ganzen Truppe nach Mallorca" fauchte der CDU-Generalsekretär gestern früh vor der Präsidiumssitzung seiner Partei im Berliner Konrad-Adenauer-Haus. Der ausgebuffte Schwabe gilt als Mann mit ausgeprägten Nehmerqualitäten. Aber den Wahlschock vom Sonntag, den hat er überhaupt noch nicht verdaut.

Das Desaster traf die "Schwarzen" völlig unvorbereitet, hatten Demoskopen der Union nach Angaben aus deren Reihen intern doch noch am Sonnabend stabile Werte an der 40-Prozent-Marke gemeldet, CDU und CSU auf diese Weise in Siegesvorfreude versetzt. Und dann der unerwartete Absturz.

Und wie nun weiter? "Wir sind in einer schwierigen Situation und müssen sehen, wie wir vorankommen", gibt Kauder ratlos kund. Bevor er dann ins Parteipräsidium verschwindet, läßt er noch kurz wissen, Angela Merkel gehe es gut.

Ein Scherbengericht über Angela Merkel werde es hinter verschlossenen Türen jetzt keinesfalls geben, versichert der nordrhein-westfälische Regierungschef Jürgen Rüttgers treuherzig. Aber wie soll es jetzt weitergehen? "Gute Frage", räsoniert der Vorsitzende des größten CDU-Landesverbands und setzt recht nebulös hinzu: "Man darf keine Tür zumachen." Es gehe darum, daß "man eine inhaltliche Plattform findet".

Bloß mit wem? Lieber mit der SPD oder lieber mit FDP und den Grünen in einer sogenannten "Schwampel" oder "Jamaika-Koalition", wie sie neuerdings heißt? Da hält sich Rüttgers bedeckt. Christian Wulff, der Niedersachse, läßt immerhin Skepsis gegenüber der "Schwampel" erkennen. Hinter vorgehaltener Hand haben viele Christdemokraten und Liberale größte Zweifel, daß ein Bündnis mit den Grünen realisierbar ist.

Angela Merkel hat erst einmal andere Sorgen. Das unerwartete Wahldebakel hat ihre Machtbasis erschüttert und ihre Autorität unterminiert. War das der Anfang von ihrem politischen Ende?

Glaubt man den gestrigen Worten der Parteigranden, dann muß sie vorerst nichts fürchten. Es hagelte Treueschwüre. "Alle stehen hinter Frau Merkel", beteuerte Wulff. Und der Hesse Roland Koch beschwichtigte: " Bei uns gibt es keine Personaldiskussion." Ähnlich ließen sich andere Landesfürsten ein.

Doch Gegenwind gab es auch. Karl-Josef Laumann, Chef des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA und nordrhein-westfälischer Arbeitsminister, kritisierte den Unions-Wahlkampf in unmißverständlichen Worten. "Die Partei war zuwenig für die Arbeitnehmer da." Das sei im Wahlkampf "sträflich vernachlässigt worden". Kein einziger Sozialpolitiker sei im Schattenkabinett vertreten gewesen. Viel zu einseitig sei die Union aufgestellt gewesen. "Diejenigen, die das toll fanden, haben mit der Zweitstimme auch noch FDP gewählt", wetterte Laumann.

Doch direkte, persönliche Kritik an Merkel verkniffen sich die Spitzenkräfte der Partei allesamt. Die Aussprache über die Ursachen des Wahldebakels wurde vertagt, bis mehr Daten und Analysen vorliegen. Personalquerelen, gar eine Demontage Merkels zum jetzigen Zeitpunkt werde alles nur noch schlimmer machen, heißt die Devise. Darauf warteten die SPD und ihr "Noch"-Kanzler Gerhard Schröder nur.

Von der Schwesterpartei CSU hat Merkel vorerst auch wenig zu fürchten. Zwar holte CSU-Chef Edmund Stoiber als Unions-Kanzlerkandidat 2002 mit 38,5 Prozent ein besseres Ergebnis. Doch die CSU fuhr am Sonntag eines der schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte ein, stürzte um fast zehn Punkte unter die 50-Prozent-Marke. Bisher war die CSU im Bundestag rechnerisch drittstärkste Kraft, jetzt wird sie zur kleinsten und büßt voraussichtlich zwölf Mandate ein und damit in Berlin spürbar an Bedeutung. Das kratzt auch an Stoibers Nimbus. Doch CSU-Landesgruppenchef Michael Glos warnte vorsorglich: "Jetzt über Schuldige zu reden ist blanker Unsinn."

Im CSU-Vorstand wurde allerdings die Debatte um das Steuerkonzept von Paul Kirchhof als Hauptursache für die Verluste der Union ausgemacht. Das habe "viel Verunsicherung ausgelöst" und sei ein "Einfallstor für die Sozialdiskussion gewesen", kritisierte CSU-Vize Horst Seehofer.

Die Maulerei gegen Kirchhof kann Merkel auch als Kritik an sich selbst auffassen. Denn sie hatte den Steuerprofessor in ihr Kompetenzteam geholt.

Kein Wunder, daß Merkel dem Frieden und den Solidaritätsbekundungen ihrer Parteifreunde nicht völlig über den Weg zu trauen scheint. Schon heute will sie sich in der konstituierenden Sitzung der neuen Unions-Bundestagsfraktion zur Wiederwahl als Fraktionschefin stellen, obwohl sie ja eigentlich Bundeskanzlerin werden möchte. Die Abstimmung war ursprünglich so nicht vorgesehen. Nun gilt sie als Art Vertrauensfrage.

Schneidet Merkel dabei schlecht ab, stünde sie wohl am Abgrund und ihre politische Karriere auf der Kippe. Aber in der Union wurde gestern mit einem so hohen Maß an Zustimmung gerechnet, daß für Personaldebatten kein Raum mehr bleiben soll.