Kommentar: Deutschland nach der Wahl

Ein paar Minuten im Fernsehen - und schon kann sich das Bild von einem Menschen ändern. Hat Gerhard Schröder das bedacht, als er in der "Elefantenrunde" so auftrat, als sei er von der Selbstsuggestion des Wahlkampfs - ich bin so groß, ich bin so toll - noch immer berauscht. Jedenfalls nannte seine Frau Doris, hört man, sein Verhalten hinterher "krawallig". So ein unsäglicher Auftritt läßt zweifeln, ob mit ihm, in welcher Konstellation auch immer, eine große Koalition überhaupt funktionieren könnte.

Die Wahl war auf "sie oder er", "er oder sie" fokussiert. Deutschland hat sich unnachahmlich für Unklarheit entschieden. Und im Augenblick sieht es so aus: Merkel, Schröder - geht nicht, Schröder, Merkel - geht überhaupt nicht.

Lediglich die Historie der beiden großen Volksparteien könnte Anlaß zu der Überzeugung geben, daß sie fähig seien, deutsche Zukunftsfragen gemeinsam zu lösen. Doch die Eigenheiten ihrer Führungspersonen und die Tatsache, daß die Sozialdemokraten unter Lafontaineschem Druck wahrscheinlich zunehmend reformunwillig nach links driften, sind Grund genug, neu zu denken.

Auch wenn die CDU unfähig war, für ihr Projekt die Herzen aller Deutschen zu gewinnen, bleibt sie doch die Partei mit der erfolgverheißendsten Wirtschaftspolitik. Ihren Arbeitsmarktkonzepten trauen viele am meisten zu. Ihre Achillesferse hat sie zur Zeit in der Sozialpolitik.

Erfolgreiches Regieren braucht mehr Qualitäten, und Mehrheiten brauchen Prozente. Die FDP bringt Reformqualität, aber nicht genug Prozente. Und die Grünen?

Im Augenblick kann sich noch niemand vorstellen, daß irgendein grüner Parteitag einer Verbindung mit Schwarz-Gelb den Segen gibt. Ströbele und Beckstein auf derselben Regierungsbank? Trittins Windräder und das Garchinger Atomei im selben Programm?

Für Deutschland ist es gut, über alte Partei- und Machtgräben hinweg zu reden, zu handeln. Und: die Grünen sind seit einem Vierteljahrhundert eine Konstante deutscher Politik. Sie stehen für Themen nicht nur im Umweltschutz, die erwiesenermaßen vielen Deutschen sehr wichtig sind. Solche Themen in einer neuen Regierung zu verankern, das wäre eine interessante Perspektive. Ein Wagnis, aber ein Aufbruch. Denn eines hat der Wähler durch seine Pattwahl gezeigt: In den Wagenburgen der alten politischen Lager jedenfalls geht es kaum noch weiter.