Dass die Parlamentarier ihren Urlaub unterbrochen hatten, beeindruckte ihn mehr als einzelne Störer.

Berlin. Sicherheit ist das oberste Gebot beim Besuch des US-Präsidenten in Berlin. So fährt Bush selbst die kürzesten Strecken mit seiner tonnenschweren schwarzen Cadillac-Limousine - die er eigens aus Amerika mitgebracht hatte - und sehnt sich vermutlich danach, die herrliche Berliner Sommerluft statt der kalten Klimaluft zu schnuppern. Doch der Präsident weiß, dass es hier streng nach Protokoll geht. Der morgendliche Auftaktbesuch bei Bundespräsident Johannes Rau im Schloss Bellevue mit den üblichen militärischen Ehren, den Hymnen, dem Abschreiten der Ehrenformation der 250 Soldaten aller drei Waffengattungen. Begrüßung der Gastgeber und Delegationen. Ein Foto der beiden Staatschefs für die Horde der Fotografen, bevor man zum Gespräch im Schloss verschwindet. George W. Bush, seit fast eineinhalb Jahren im Amt und oft als außenpolitisches "Greenhorn" belächelt, kennt inzwischen die Routine, macht eine durchweg gute Figur. Ganz Staatsmann auf der einen Seite, aber mit einem lockeren, menschlichen Auftreten und einem äußerst gewinnenden Wesen. Es ist schwer zu verstehen, wenn man den US-Präsidenten so sieht, dass in den letzten zwei Tagen jeweils 20 000 Demonstranten gegen seinen Besuch in der Stadt protestiert haben. Es fällt schwer, George W. Bush nicht zu mögen. Die Gastgeber Rau und besonders Gerhard Schröder wirken steif und verspannt neben dem Texaner. So erklärt Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf, durch ihre Zeit in New York perfekt in Englisch, dass ihr Mann "manchmal etwas scheu" sei. Das kann man Bush bestimmt nicht nachsagen. Aber wer erwartet hatte, dass der mächtigste Mann der Welt bei seiner 19-stündigen Kurzvisite arrogant auftreten oder kraftmeiernd poltern würde, sieht sich getäuscht. Das wird spätestens klar, als Bush zum Höhepunkt seines ersten Deutschlandaufenthaltes, seiner mit vielen Vorschusslorbeeren bedachten "historischen Rede" vor dem Bundestag ansetzt. Mit einer Handbewegung, die implizieren soll, dass ihm der Angstschweiß auf der Stirn steht, dankt er den Abgeordneten für ihr Kommen, obwohl sie eigentlich Urlaub hätten, und erzählt, dass er gar nicht daran denken will, was geschehen würde, wenn er seine eigenen Parlamentarier aus dem Urlaub holen würde, nur um ihnen etwas mitzuteilen.Vermutlich denkt er dabei nicht an den peinlichen Zwischenfall, als der deutsche Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker bei einem Staatsbesuch vor dem amerikanischen Parlament sprach und Clintons Helfer schnell jeden greifbaren Touristen und jede Sekretärin in den Plenarsaal des Kapitols zogen, da nur etwa ein Drittel der US-Abgeordneten es für nötig befunden hatten, dem Gast aus Deutschland die Ehre zu erweisen. Und das nicht einmal zur Ferienzeit. Hier ist das anders. Im Reichstag hat sich alles versammelt, was Rang und Namen hat, und man hört sehr genau hin, was der Mann im dunkelblauen Anzug, weißem Hemd und mit roter Krawatte erzählt. Einstudiert pointiert redet Bush, nach Richard Nixon und seinem Vorbild Ronald Reagan der dritte US-Präsident, dem die Ehre widerfährt, vor dem Deutschen Parlament zu sprechen. Nach den ersten Minuten wirft er kaum noch einen Blick auf seinen großen schwarzen Ringordner. Er hat diese Rede zahllose Male unter fachkundiger Anleitung geprobt, in Washington, während des Fluges in Air Force One und nach Information eines Beraters auch noch am Mittwochabend im Hotel Adlon. Mit Kraft in der Stimme erklärt Bush: "Ein starkes Deutschland ist gut für die Welt." Als sich der Beifall legt, plötzlich Zwischenrufe links von Bush. Drei Abgeordnete der PDS halten ein Plakat mit der Aufschrift "Stop your wars, Mister Bush + Mister Schröder". Bush schaut erschreckt in die Richtung der Störung, weiß nicht recht, was er machen soll. Ein Secret-Service-Mann fingert nervös an seiner Waffe unter dem Jackett. Als die Störer und mit ihnen der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele den Saal verlassen, fährt Bush fort. In den Gesichtern von Gerhard Schröder, Johannes Rau und Wolfgang Thierse, der direkt vor Bush in der ersten Reihe sitzt, zeichnet sich Entsetzen ab. Solch einen Eklat wollte man unter allen Umständen vermeiden. Doch der Gast aus den USA scheint auch das als Spielart der Demokratie zu sehen und lässt die Zuhörer wissen, dass die USA begriffen haben, dass sie nicht alleine, sondern nur gemeinsam mit den Freunden und Alliierten den Kampf gegen den Terror gewinnen und die Zukunft meistern können. Wie nie zuvor lobt Bush Deutschland und dankt "my friend Gerhard" für seine mutige Hilfe. Der US-Präsident sagt zum ersten Mal, dass er und die Amerikaner um die deutschen Opfer in Afghanistan trauern. Das hat man bisher vermisst. Er lässt keinen Zweifel daran, dass ihm Berlin, Deutschland und Europa sehr am Herzen liegen, und er wisse, was sie geleistet hätten. Bush zieht den Bogen zu Nahost und sagt, dass er dort einmal auf eine ähnliche Erfolgsstory hoffe wie die Deutschlands und Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Wenngleich der Gast keinen Zweifel am fortwährenden Kampf gegen den Terrorismus lässt, hört man an diesem Nachmittag kein Kriegsgeheul von ihm, sondern viel Vernünftiges. Hier wird der amerikanische Präsident wieder einmal seinem Wahlkampfthema "I'm a uniter, not a divider" (Ich bin jemand, der zusammenführt, nicht trennt) gerecht. Es ist eine "clintonesque" Wohlfühl-Rede, die der Präsident abliefert. Man hat das Gefühl, dass Deutschland und Berlin George W. Bush und Amerika wirklich wichtig sind. Die Gastgeber quittieren das am Ende der Ansprache - nach genau 30 Minuten - mit herzlichem Applaus. Ob die Rede nun das Gütesiegel " historisch" verdient, darüber werden sich Experten die Köpfe heiß reden. Wer sich selbst ein Bild machen will: Die Rede ist unter www.whitehouse.gov im Internet nachzulesen. Sicher ist, dass George W. Bush alles in seiner Macht Stehende getan hat, um in Berlin ein positives Bild von sich und seinen Zielen zu zeichnen. Schade, dass es die Öffentlichkeit nur am Bildschirm mitbekommen konnte. Denn den 43. US-Präsidenten muss man eigentlich "live" erleben, um ihm voll gerecht zu werden. Doch auch dazu werden die Berliner eines Tages vermutlich die Gelegenheit haben. Gegenüber Journalisten bedauerte George Bush, dass er aus Sicherheitsgründen immer in einer "Blase" leben müsse. Er versprach jedoch, dass er eines Tages als Normalbürger zurückkommen werde und sich von seinem Freund Gerhard die Stadt zeigen lassen werde. Mit einem Blick auf den Bundeskanzler fügte er hinzu: "Dann gehen wir zusammen angeln.