Im Gespräch

Als historische Reden gelten diejenigen, die in die Geschichtsschreibung eingehen, weil sie einen Wendepunkt markieren, einen mutigen Blick in die Zukunft wagen oder verunsicherte Zuhörer beruhigen. Als eine der bedeutendsten Ansprachen der Antike gelten die Worte von Marcus Antonius für seinen von Senatoren ermordeten Freund Julius Cäsar 44 v. Chr. "Freunde, Römer, Mitbürger", begann er seine Grabrede, in der er vor den verstörten Römern die Taten des toten Imperators rühmte, sein blutiges Gewand hochhielt und so die Mörder bloßstellte. Bis heute immer wieder zitiert als wohl treffendste Beschreibung der amerikanischen Seele ist die kurze "Gettysburg Address" des US-Präsidenten Abraham Lincoln 1863 an den Gräbern von im Bürgerkrieg gefallenen Soldaten. Die Amerikaner sollten für eine Staatsform kämpfen, "in der das Volk allein durch das Volk zum Besten des Volkes herrscht". Genau ein Jahrhundert später sprach der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King in Washington die historischen Worte: "I have a dream." Er beschwor seinen Traum von einem Amerika ohne Rassenschranken. Entscheidend für die deutsche Geschichte war die Rede des SPD-Fraktionsvorsitzenden Philipp Scheidemann zum Kriegsende am 9. November 1918 auf dem Balkon des Reichstages, mit der er die Republik ausrief: "Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue. Es lebe die deutsche Republik." Wenige, aber unvergessene, Worte sagte Außenminister Hans-Dietrich Genscher, als er 1989 in der deutschen Botschaft in Prag den dorthin geflohenen DDR-Bürgern ihre Ausreise ankündigte. Sein erster Satz: "Ich bin gekommen, um Ihnen mitzuteilen. . ." gingen im Jubel unter.