K O M M E N T A R

Als historisch war die Rede des amerikanischen Präsidenten vor dem Berliner Bundestag angekündigt worden, und dieses oft inflationär verwendete Etikett dürfte sich die Ansprache von George W. Bush gleich in dreierlei Hinsicht verdient haben. Zunächst im Wortsinne durch die geschichtliche Einbettung der deutsch-amerikanischen Beziehungen, vor allem aber durch die Neubewertung Russlands als Freund und strategischer Partner sowie durch den zumindest verbalen Verzicht auf den heftig umstrittenen amerikanischen Unilateralismus - sprich machtvolle Anti-Terror-Alleingänge ohne Konsultation der europäischen Freunde. Selbst die PDS-Führung, in transatlantischen Fragen üblicherweise in postsozialistischer Nörgel-Attitüde versteinert, äußerte Verblüffung über den verbindlichen und um Verständnis werbenden Tenor der Bush-Rede, der bislang bei weitem "europäischsten" Ansprache des Texaners. Umso peinlicher wirkten die Protestaktionen dreier PDS-Abgeordneter und des Grünenpolitikers Ströbele. Man muss sich schon von der traditionellen Gastfreiheit sowie allen politischen Instinkten verabschieden, um einem US-Präsidenten ausgerechnet an historischer Stätte in Berlin Kriegstreiberei vorzuwerfen. Die ohne Zweifel bestehenden Differenzen zwischen Alter und Neuer Welt - man mag sie mit einigen Stichworten wie Irak, Kyoto-Protokoll oder Internationaler Strafgerichtshof skizzieren - hat die Rede von George W. Bush erwartungsgemäß nicht ausräumen können. Doch sie hat den hoffnungsträchtigen Eindruck hinterlassen, dass die USA die Gestaltung ihrer globalen Politik doch nicht ganz ohne ihre europäischen Partner angehen wollen. Das politisch und kulturell Verbindende zwischen Amerika und Europa, so lautet die zutreffende Botschaft von Berlin, überwiegt das Trennende bei Weitem.