AUF DEN STRASSEN blieb es vorwiegend ruhig. Auch Absperrungen wurden mit Fassung getragen.

Berlin. "Was ist denn jetzt schon wieder", meckert der junge Berliner den Polizeibeamten an, der ihn weit, weit weg vom Reichstag an einer Straßensperre in der Wilhelmstraße mit sanfter Sturheit am Fortkommen auf seinem Fahrrad hindert. Zum vierten Male verstellt an diesem frühen Nachmittag des gestrigen Tages ein Ordnungshüter dem sportlichen Hauptstädter den Weg. Das nervt den Mann ersichtlich. Doch nach einem kurzem Wortgeplänkel muss sich der Zweirad-Bummler trotzdem trollen. US-Präsident George W. Bush ist für 19 Stunden auf Staatsbesuch in Berlin. Und deshalb gleicht das Regierungsviertel im Bezirk Mitte einer Festung. Die Polizei trieb einen bis dato wohl beispiellosen Aufwand zum Schutze des mächtigen Mannes aus Amerika. Seit Mittwoch schon waren Teile der Flaniermeile "Unter den Linden", der Pariser Platz am Brandenburger Tor, der Reichstag oder das Kanzleramt für Normalsterbliche unerreichbar. Auf Geheiß von Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hatten die Berliner Sicherheitsbehörden die Hauptstadt für zwei Tage mit einem "Schleier von Polizei" überzogen. Rund 10 000 Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet waren Bush aufgeboten. Unentwegt jaulten Polizeifahrzeuge mit eingeschalteter Sirene durch die Stadt. Passanten und Touristen trugen das Geschehen mit Fassung. Auch der Großteil der Polizisten übte sich gestern in Gelassenheit und fieberte in der schwülen Hitze dem Ende des Einsatzes entgegen. Gestern blieb es in der Hauptstadt weitgehend ruhig. In der Nacht zuvor hatte es gewalttätige Ausschreitungen gegeben. Im Anschluss an eine Kundgebung mit 20 000 Teilnehmern hatten Randalierer mit Steinen und Flaschen geworfen, eine US-Flagge und Einkaufswagen angezündet. Gegen Mitternacht löste die Polizei die Versammlung am Berliner Dom auf und trieb die Demonstranten unter Einsatz von Wasserwerfern auseinander. Auch etliche Schaufensterscheiben gingen zu Bruch. Ein Polizeisprecher bezeichnete die Ausschreitungen allerdings als "nicht so gravierend" wie Vorfälle in Berlin an manch anderen Tagen. Gleichwohl wurden 44 Polizisten und eine unbekannte Zahl von Protestierern verletzt. 58 Randalierer wurden vorübergehend festgenommen, die meisten davon später wieder auf freien Fuß gesetzt. Auch gestern kam es mehrfach zu kleineren Zwischenfällen. So blockierten etwa 300 Kriegsgegner vorübergehend den S-Bahnhof am Alexanderplatz. Eine kleinere Gruppe Demonstranten versuchte wiederholt vergeblich, das Regierungsviertel zu erreichen, und verlegte sich dann auf Provokationen. "Setzt die Helme auf, wir wollen euch schwitzen sehen", riefen sie den Polizisten zu. Mehrere geplante Demonstrationen fielen jedoch mangels Beteiligung aus. Händler und Gastwirte klagten derweil über Einnahmeausfälle und Schäden durch Vandalismus. Bush könnte sich auf Grund der Sicherheitsmaßnahmen in Berlin gefühlt haben wie in einer Geisterstadt. Kaum ein normaler Bürger bekam ihn zu Gesicht. Aber auch dem Präsidenten blieb der Kontakt mit der Bevölkerung verwehrt. Bush trug es mit Fassung, zumal es auch ein Gutes hatte: Durch die Absperrungen bekam er von den Demonstrationen so gut wie nichts mit.