“Schmerzhafte Schritte“: OECD fordert längere Lebensarbeitszeit in den Industrieländern und deutlich mehr private Altersvorsorge.

Hamburg/London. Wenn der deutsche Durchschnittsmann heute in die Altersrente geht, ist er 63,8 Jahre alt (Frauen 63,3) und hat etwa 20 Jahre Ruhestand vor sich. Bei den sogenannten Bestandsrentnern, die bereits seit Jahren im Ruhestand sind, beträgt die Rentenbezugsdauer "nur" 16,2 Jahre für Männer (20,9 für Frauen). Künftige Rentner leben länger. Die Frühverrentung, die seit Beginn der 80er-Jahre immer mehr Menschen immer früher aus dem Job geholt hat, ist vorbei.

Rentner bekommen heute fünf Jahre länger ihre Ruhestandsbezüge als vor 30 Jahren, was die Ausgaben immer weiter steigen lässt. Dagegen nimmt sich die dank der stufenweise kommenden Rente mit 67 langsam steigende Lebensarbeitszeit vergleichsweise mickrig aus. Und darin liegt die Krux einer gesünderen, älter werdenden Gesellschaft: Zu wenige Junge zahlen Beiträge für deutlich mehr Alte. Und die private Altersvorsorge hat trotz mehr als 14 Millionen Riester-Verträgen noch nicht den Stellenwert, den internationale Experten sich wünschen.

So spricht die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, von "schmerzhaften" und "unbeliebten" Schritten für die Industrieländer, die gegen Altersarmut ankämpfen. "Wir brauchen entschlossenes Handeln", sagte der OECD-Generalsekretär Angel Gurría. Heißt: am besten noch länger arbeiten. In Ländern, in denen die private Rentenvorsorge nicht Pflicht sei, müsse ein Großteil der Bevölkerung nach Renteneintritt mit einem dramatischen Sinken des Einkommens rechnen. Dabei hatte Gurría Deutschland im Blick, wo es staatliche Anreize, aber keine verpflichtende private Altersvorsorge gibt.

+++ Schmerzhaft erkauft +++

In den vergangenen zehn Jahren sanken die staatlichen Renten in den OECD-Ländern (die wichtigsten westlichen Industrienationen plus Japan, Australien, Südkorea) um 20 bis 25 Prozent. In Deutschland lag das Niveau der gesetzlichen Rente 2011 im Schnitt bei 50,2 Prozent des letzten Einkommens. Es soll dank der Reformen bis 2030 nicht unter 43 Prozent fallen, der Beitrag für die Berufstätigen (die Hälfte zahlt der Arbeitgeber) nicht über 22 Prozent vom Monatsbrutto steigen.

Somit muss der Anteil der privaten Absicherung wachsen, wollen die Deutschen auch künftig ihr Einkommensniveau im Alter einigermaßen halten. In 13 von 34 OECD-Ländern wird das reguläre Renteneintrittsalter bald 67 sein. Deshalb sieht sich die Deutsche Rentenversicherung in dem Bericht bestätigt. Die Kehrseite der Debatte ist die Altersdiskriminierung. Viele Berufstätige wollen länger arbeiten und dürfen es nicht. Dabei hat sich laut OECD gezeigt, dass dadurch Jüngeren kein Job weggenommen werde. Die Unternehmen in den OECD-Ländern hätten ältere Mitarbeiter deutlich stärker zu schätzen gewusst als in der Vergangenheit. Nach neuen Zahlen aus der EU-Kommission beträgt bereits in acht Staaten der Europäischen Union die Jugendarbeitslosigkeit bis zu 50 Prozent, darunter die Krisenländer Spanien, Portugal, Italien und Griechenland. Dort verpuffen Anreize für junge Leute, sich rechtzeitig auch eine private Rente aufzubauen - ihnen fehlt schlicht das Geld dazu.

+++ Merkel verteidigt auf Seniorentag Rente mit 67 +++

So heißt es im OECD-Bericht: "Das Problem in Bezug auf die herkömmliche Gestaltung von Steueranreizen besteht darin, dass diese vor allem Hocheinkommensbeziehern zugutekomme. Tatsächlich ist in den meisten Ländern mit freiwilligen Rentenversicherungen die Wahrscheinlichkeit bei Erwerbstätigen mit geringem Einkommen am geringsten, privat für das Aller vorzusorgen." Die OECD schlägt deshalb eine "pauschale Subvention mit Beitragsergänzung" vor und lobt ausdrücklich Deutschland für seine Art der staatlichen Förderung. Der Sprecher der Rentenversicherung, Dirk von der Heide, sagte dem Abendblatt: "Das deutsche Riester-Modell wird in dem OECD-Bericht als Beispiel für einen erfolgreichen Absicherungsplan angeführt. In diesem Zusammenhang wird vor allem die direkte Förderung durch Zulagen und die dadurch erreichte Förderung von Geringverdienern hervorgehoben."

Die Riester- und Betriebsrentner können wegen der Finanzmarktkrise nicht auf steigende Renditen bauen. Die Deutsche Rentenversicherung darf ihre Reserven nur in vermeintlich todsichere Anlagen stecken. So parkt die Rentenkasse nach eigenen Angaben 20 bis 25 Milliarden Euro auf dem Geldmarkt. Das ist etwas mehr, als man jeden Monat auszahlt. Die 20 Millionen Rentner heute können sich über eine Rendite von drei bis vier Prozent ihrer Beiträge freuen. Bei künftigen Generationen werden es nach den Prognosen nur noch zwei bis drei Prozent sein.