Bundespräsident Gauck weist mit dem flexiblen Rentenalter auf eine zeitgemäße Lösung

Der Krieg fällt aus. Noch vor einigen Jahren erschreckten uns Untergangsszenarien, wohin der demografische Wandel Deutschland treiben wird. Von einem "Krieg der Generationen" war die Rede, von Rentnerschwemme oder Gerontokratie, der Herrschaft der Alten. Inzwischen geht es im deutschen Blätterwald, auf Buchtischen oder in Rundfunkdokumentationen deutlich friedlicher zu. Relativ geräuscharm hat die Politik Weichen gestellt und Mut gezeigt: Nullrunden für Ruheständler, die Rente mit 67 oder der Ruf nach eigener Altersvorsorge sind gewöhnlich nicht dazu angetan, die nächste Wahl zu gewinnen. Es waren aber nötige und europaweit vorbildliche Reformen, auf die Alterung der Gesellschaft zu reagieren - und aus dem Alarmismus der "demografischen Katastrophe" herauszufinden.

Denn hinter der Alterung steckt keine Katastrophe, sondern ein zivilisatorischer Glücksfall. Die Menschen werden immer älter, heute werden die Deutschen im Schnitt gut 80 Jahre alt - vor 50 Jahren waren es knapp 70. Und dieser Prozess nimmt noch Fahrt auf: Statistisch gesehen ist die Lebenserwartung zuletzt Jahr für Jahr um drei Monate gestiegen.

Die Gesellschaft hätte allen Grund, glücklich zu sein. Bundespräsident Joachim Gauck brachte es gestern bei der Eröffnung des Seniorentages in Hamburg auf den Punkt. Insgesamt sei die heutige ältere Generation die wohlhabendste und gesündeste, die es in Deutschland je gegeben habe. Der Präsident stellte die Frage: "Ist es eigentlich auch die dankbarste Generation, die es jemals gegeben hat?" Gauck darf das, er ist 72.

Tatsächlich sprechen Altersforscher nach Kindheit und Erwerbsleben schon von einem dritten und vierten Alter: Viele Deutsche sind nach dem Eintritt in den Ruhestand in ihren besten Jahren - ihr Lebensabend ist ein bunter Nachmittag: Sie reisen, sie bilden sich fort, sie engagieren sich für Familie und Gesellschaft. Sie übernehmen Aufgaben in Vereinen, Verbänden, sozialen Initiativen - ohne diese Alten sähe Deutschland verdammt alt aus. Wirklich alt und pflegebedürftig sind viele Menschen erst ab 80, 90 oder gar 100 Jahren. Doch diese Alten waren es, die einstmals in den Genuss der Rentenversicherung kommen sollten.

Daher muss die Frage erlaubt sein, warum viele Tatkräftige pünktlich einen Monat nach ihrem 65. Geburtstag aufs Altenteil geschoben werden - oft gegen ihren Willen und jede ökonomische Vernunft. Schon jetzt leidet Deutschland an einem Fachkräftemangel, zwingt aber bestens Ausgebildete in den Ruhestand. Die moderne Gesellschaft hält an einer starren Altersgrenze fest, als lebten wir noch in (vor-)industriellen Zeiten. Bergarbeiter, Zimmermänner oder Stahlkocher sind mit 65 Jahren sicherlich körperlich auf den Ruhestand angewiesen, viele Büroangestellte, Forscher oder Facharbeiter sind es nicht. Ein flexibles Renteneintrittsalter, das Gauck gestern in die Diskussion brachte, könnte eine zeitgemäße Lösung sein. Diese funktioniert aber nur, wenn die Firmen mitziehen und die Politik Anreize schafft.

Doch die Gesellschaft muss nicht nur "Ja zum Alter" sagen, sondern auch "Ja zu Kindern". Diese Botschaften sind zwei Seiten einer Medaille. So gut alle staatlichen Freiwilligenprogramme auch sind, sie vermögen nicht das solidarische Band der Familie zu ersetzen. Familie verbindet Generationen: Wer Kinder und Enkel hat, bleibt länger jung und vital, ihn bewegt die Zukunft, er leidet weniger an der schlimmsten Volkskrankheit im Alter, der Einsamkeit. Wer etwas für die Senioren von morgen tun möchte, ermutige sie in jungen Jahren zu eigenen Kindern. Politik, Firmen und Gesellschaft müssen alle Hindernisse beseitigen, die dem Kinderwunsch im Wege stehen. Auch das verhindert den "Krieg der Generationen".